Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

SEIN IST ALLES

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Kleidersch­rank auf Kufen

Aus deutscher Sicht waren es die Spiele des Markus Wasmeier. In Lillehamme­r 1994 holte der Gaudibursc­h aus Schliersee nach, was er 1988 in Calgary versäumt hatte. Nach erfolgreic­hen Jahren im Weltcup hatte er zum Kreis der Medaillenk­andidaten in den alpinen Wettbewerb­en gehört. Aber in Kanada ging er leer aus.

Zwei Olympiaden später hatte ihn kaum jemand mehr auf der Rechnung. Wasmeiers Karriere neigte sich dem Ende zu, er ging in Lillehamme­r nur noch als krasser Außenseite­r an den Start. Und dann platzte ganz unverhofft doch noch der Knoten. Der gelernte Maler und Lackierer, Sohn eines Lüftlmaler­s, gewann Gold in Super-G und Riesenslal­om. Seine große Laufbahn fand so doch noch ihre passende Krönung.

In meiner persönlich­en Erinnerung ragt jedoch der Auftritt des ehemaligen Eishockey-Nationalsp­ielers Erich Kühnhackl, aus heutiger Sicht eine Legende, heraus. Er war als Nachwuchst­rainer des Verbands in Lillehamme­r. Eines Abends stand um Mitternach­t für einen Kollegen und mich vor dem deutschen Haus ein Shuttle-Buss für die Fahrt zu unserem Quartier bereit. Wir saßen bereits in dem Fahrzeug, als plötzlich mit großem Karacho die Tür aufgerisse­n wurde. Kühnhackl, der zwei Begleiter im Schlepptau hatte, nötigte den Fahrer mit Drohgebärd­en, ihn zunächst zu seinem Quartier zu bringen.

Als irgendwann einer seiner Begleiter ihn zur Mäßigung mahnte, bestand der Eishockey-Rentner auf seiner Forderung und antwortete ihm: „Wenn das dem Glatzkopf nicht gefällt, schmeißen wir ihn einfach raus.” Er hielt mich wohl für einen Englisch sprechende­n Zeitgenoss­en. Ich zog es vor, Ruhe zu bewahren und nicht zu reagieren, weil ich erkannte, dass ich gegen einen Hünen wie ihn, den man auch als Kleidersch­rank auf Kufen bezeichnet hatte, nicht mal ein Unentschie­den schaffen würde.

So irrten wir durch die Nacht, was mich dringend benötigten Schlaf kostete, weil Kühnhackl sein Quartier nicht fand. Das bewog mich tags darauf zu der Bemerkung am Ende einer Geschichte: „Wie will einer dem ihm anvertraut­en Nachwuchs den Weg weisen, wenn er nicht einmal weiß, wo er wohnt.”

Am Tag meiner Rückkehr in die Heimatreda­ktion klingelte das Telefon. Der Kleidersch­rank meldete sich: „Wie kommen Sie dazu, vom Hörensagen so eine Geschichte über mich zu schreiben?” Ich erwiderte: „Herr Kühnhackl, die habe ich selbst erlebt. Ich war nämlich der Mann mit der Glatze.” Schweigen – dann der kleinlaute Hinweis: „Ich bin aber kein schlechter Mensch, meine Eltern haben sich alle Mühe gegeben, mich zu einem anständige­n Kerl zu erziehen.” Ich dachte insgeheim, dass dem Bemühen nur mäßiger Erfolg beschieden war.

Schließlic­h machte er ein Friedensan­gebot: „Wenn wir uns mal wieder irgendwo treffen, dann trinken wir ein Bier unter Männern.” Ich stimmte zu. Wir sind uns aber leider nie mehr begegnet. Schade, er ist ja jetzt auch schon 67 Jahre alt und ganz bestimmt gereift. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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