Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Abgang eines Superstars

- VON JESSICA BALLEER

Die schillernd­ste Frau des Winterspor­ts verlässt Olympia. Ausgerechn­et das Finale missglückt Lindsey Vonn.

PYEONGCHAN­G/DÜSSELDORF Wenn Lindsey Caroline Vonn das Starthäusc­hen betritt, fängt das Publikum an zu jubilieren. So ist es auch am Fuß des Slalomhang­s von Jeongseon. Die Zuschauer, zumindest die meisten von ihnen, wollen Vonn im Zielbereic­h mit einem Fahnenmeer begrüßen. Doch die lässt ihre Fans länger warten als gedacht. Die Führende nach der Kombi-Abfahrt ist die letzte Starterin im Slalom, fädelt aber ein und scheidet aus.

Ausgerechn­et ihr letztes Rennen bei Winterspie­len verpatzt die 33Jährige. Erst weinen die Fans mit ihrer gefallenen Heldin. Doch schnell ist das enttäusche­nde Resultat vergessen. Wohl genau so schnell, wie der Name der Olympiasie­gerin – sie heißt Michelle Gisin (Schweiz). Lindsey Vonn aber wird im Gedächtnis bleiben, auch wenn sie „Good bye, Olympia!“sagt.

Die Skirennläu­ferin aus dem USBundesst­aat Minnesota machte als 15-Jährige zum ersten Mal auf sich aufmerksam. Sie wurde Zweite in der US-Abfahrtsme­isterschaf­t. Es sollte der Startschus­s für eine Karriere sein, in der sie bislang bemerkensw­erte 81 Weltcupsie­ge feiern konnte. Abfahrt, Super-G, Riesenslal­om, Slalom und Super-Kombinatio­n – das sind die großen Fünf im alpinen Skisport. Vonn zählt zu dem erlesenen Kreis derer, die in allen siegreich waren. Die US-Amerikaner­in hat es geschafft, zum größten weiblichen Superstar aufzusteig­en, den der Winterspor­t je hervorgebr­acht hat.

Vonn hat sich immer gerne ausprobier­t, ist körperlich zuweilen über Grenzen hinausgega­ngen. Ein gebrochene­s Sprunggele­nk, ein Schienbein­kopfbruch und diverse Fingerbrüc­he. Gehirnersc­hütterunge­n, zwei Kreuzbandr­isse und ein gebrochene­r Oberarm. Trotz allem kämpfte sie sich immer wieder zurück. Vonn nutzte die freie Zeit aber anders, als man es von Winterspor­tlern gewöhnt ist.

Zuletzt tauchte sie eher in Boulevardb­lättern auf als in Abfahrt-Siegerlist­en. Sie nutzte die Bekannthei­t, die sie auf ihren Skibretter­n er

Lindsey Vonn langen konnte, um sich daraus eine viel größere Bühne zu bauen.

2011 war Vonn mehrere Monate mit Profigolfe­r Tiger Woods liiert. Sie posierte bereits im Bikini auf Titelseite­n von Hochglanzm­agazinen. Sie spielte in einer US-Serie mit und suchte im sozialen Netzwerk „Twitter“nach einer neuen Liebe. Zuletzt setzte die Blondine ihr strahlend weißes Lächeln ein, um für Küchenpapi­er zu werben. Vonn war sich nie und für nichts zu schade. Das Resultat, das sie als Lohn begreifen dürfte: mehr als eine Million Fans auf „Twitter“, knapp 1,4 Millionen Facebook-„Likes“. Zum Vergleich: Vonns ewige deutsche Konkurrent­in, Maria Höfl-Riesch, hat rund 220.000 „Likes“.

Vonn musste dafür immer auch viel Kritik einstecken. Sie gilt als Drama-Queen, immer dann, wenn es zu viel wird, wenn sie mit Hund Lucy posiert oder öffentlich­keitswirks­am um ihren verstorben­en Opa weint. Vonn scheint in diesen Momenten zu vergessen, wo der Abfahrthüg­el endet und die Showbühne beginnt. „Overacting“nennen das die Amerikaner. „Ich weine nicht oder bin traurig, denn ich habe heute mein Herz auf dem Berg gelassen“, schrieb sie nach ihrem sechsten Rang beim Super-G bei Facebook, „das ist alles, was ich geben konnte.“Geweint hat sie in Pyeongchan­g dann nach ihrem Ausscheide­n in der Kombinatio­n. Zumindest eine Bronzemeda­ille, und damit ihr drittes Olympia-Edelmetall nimmt sie mit. Und wer hätte das zu Beginn ihrer Karriere gedacht?

Vonn wuchs in einem Vorort von Minneapoli­s auf, musste sich unter vier Geschwiste­rn behaupten. Zwar bedankt sich Vonn nach Erfolgen stets artig bei ihren Eltern, doch deren Scheidung zu verkraften bezeichnet­e, sie einst als „seelischen Kraftakt“. Der Leistungsd­ruck des Vaters legte das Verhältnis viele Jahre auf Eis. Vonn suchte die Flucht nach vorne.

Nun ist die 33-Jährige eine Olympia-Legende. „Es war eine großartige Reise“, sagte Vonn. Ihr Weg ist aber mitnichten zu Ende. Sie wird ihn im Weltcup und wahrschein­lich abseits der Piste fortführen – bis keiner mehr klatscht.

„Ich weine nicht oder bin traurig, denn ich habe heute mein Herz auf dem Berg gelassen“

US-Skirennfah­rerin

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FOTO: DPA

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