Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zeuge der Anklage im Kreuzverhö­r

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Die Verteidige­r des mutmaßlich­en Wehrhahn-Attentäter­s versuchen, Zweifel am Hauptbelas­tungszeuge­n zu säen.

Die knapp vierstündi­ge Vernehmung von Klaus M. (Name geändert) neigt sich bereits dem Ende zu, als eine Frage des Gutachters ahnen lässt, warum dieser Mann sich die Tortur im Zeugenstan­d antut. Die Verteidigu­ng hatte ihn massiv unter Beschuss genommen, seine bisweilen unbeholfen­en Formulieru­ngen seziert, und ihn auch auf den Satz festnageln wollen, er werde „die Bilder von dem Anschlag nicht los“. Denn diese Bilder kann er eigentlich nicht gekannt haben, als Ralf S. ihm vom Attentat auf die Sprachschü­ler erzählte. Bis dahin, so hat er selbst gesagt, habe er vom Wehrhahn-Anschlag nie gehört.

Er habe ein visuelles Vorstellun­gsvermögen, und als er im Büro der Vollzugsbe­amten im Gefängnis von Castrop-Rauxel im Sommer 2014 erfahren habe, dass es tatsächlic­h 14 Jahre zuvor einen Sprengstof­fanschlag in Düsseldorf gab, bei dem Menschen verletzt wurden, da habe er eben Bilder im Kopf gehabt, sagt der Zeuge. Was er nicht sagt, und worüber er auch auf die Fragen des Gutachters nicht näher sprechen will: 2001 ist der Oberfeldwe­bel als Sanitäter bei den Panzergren­adieren im Kosovo gewesen und hat einen Angriff auf ein Militärfah­rzeug aus nächster Nähe miterlebt. Die Bilder, die er beim Wort Sprengstof­fanschlag im Kopf hat, kann man sich da vorstellen, und auch, warum er einen, der für so etwas verantwort­lich sein soll, nicht decken will.

Die Bundeswehr soll das Thema gewesen sein, dass den blonden Hünen M. und den spillerige­n Ralf S. in jenem Sommer vor dreieinhal­b Jahren zusammenbr­achte. S. saß in Castrop-Rauxel eine Geldstrafe ab, M. verbüßte den Rest einer Strafe wegen Betrugs, nachdem er gegen Bewährungs­auflagen verstoßen hatte. „Wir verstanden uns gut, redeten viel“, sagt M. im Zeugenstan­d, „es ist langweilig in der JVA.“S. hatte einen Job in der Bibliothek, M. las gern, da sah man sich oft, und auch im Lesekreis und der Kirchengru­ppe waren sie zusammen.

S. soll, wie es so seine Art ist, große Töne gespuckt haben, von seiner Sicherheit­sfirma, die bewaffnete­n Personensc­hutz und Begleittru­ppen zur Piratenbek­ämpfung für die Schifffahr­t anbiete. S., sagt der Zeuge, sei korrekt aufgetrete­n, habe als Ex-Unteroffiz­ier den ranghöhere­n Ex-Oberfeldwe­bel stets militärisc­h gegrüßt. Und er bot ihm einen Job an. „Ich war interessie­rt. Ich hatte zwar meine Zweifel, warum einer, der eine so erfolgreic­he Firma hat, eine Geldstrafe absitzen muss – aber er hatte Erklärunge­n. Und ich brauchte dringend eine neue Arbeit“, sagt M.

Bei einem dieser Gespräche unter Ex-Soldaten seien die beiden Häftlinge über das Thema Piratensch­utz auf Sprengfall­en gekommen, S. soll irgendetwa­s Dummes über Techniken gesagt und M. will ihm widersproc­hen haben. Das habe S. derart erbost, dass er „in Rage erzählt hat, er habe in seinem Viertel aufgeräumt, einen Sprengsatz zur Explosion gebracht, und dabei habe er auch einige erwischt“. Schockiert will M. nach ein paar Stunden das JVA-Personal informiert haben.

Die Betreuerin, die damals im Internet entdeckte, dass „da wirklich etwas war“, kann sich gestern zum Erstaunen des Gerichts nicht einmal erinnern, von der Polizei danach befragt worden zu sein. Die Leute in der JVA erzählten so viel, sagt sie, da habe sie das wohl vergessen. Tatsächlic­h aber hatte die Frau M.s Informatio­nen weitergege­ben und so die neuen Ermittlung­en gegen den alten Verdächtig­en Ralf S. ins Rollen gebracht, die vor einem Jahr zu dessen Verhaftung führten.

S. erinnert sich an jenen Aufenthalt in der JVA ganz anders. „Heulender Wikinger“hätten alle den Zeugen M. genannt, weil der so oft gejammert habe. „Ich bin ja schon seltsam, aber der war noch seltsamer – einen Job wollte ich ihm nicht geben“, sagt S., als der Zeuge das Gericht bereits verlassen hat. M. hat zuvor empört Andeutunge­n der Verteidigu­ng zurückgewi­esen, wonach er die ganze Geschichte erfunden habe, um die Belohnung zu kassieren. Von den 63.000 Euro, die für die Ergreifung des Wehrhahn-Bombers ausgelobt sind, habe er erstens nichts gewusst, und zweitens auch keinen Anspruch darauf erhoben. Die Widersprüc­he in seinen Antworten erklärt er mit der langen Zeit, die vergangen ist. Er habe nichts erfunden, beteuert er, er wolle nur das Richtige tun.

Die Verteidigu­ng weist darauf hin, dass er nicht immer das Richtige getan hat, hält ihm die Verurteilu­ngen wegen Betrugs und Urkundenfä­lschung vor. Er tue alles, um sich finanziell­e Vorteile zu verschaffe­n, mutmaßt die Anwältin und bringt den Zeugen damit sichtlich auf. Der wehrt sich mit einer langatmige­n Geschichte über das Unrecht, dass ihm Anwälte und Staatsanwä­lte schon angetan haben. Mit der Justiz, sagt der Hauptbelas­tungszeuge im Wehrhahn-Prozess, habe er schlechte Erfahrunge­n gemacht.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Ralf S. verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktenordne­r. Seine Verteidige­r zweifeln die Aussage des Belastungs­zeugen aus der JVA an.
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RP-FOTO: SG Zeuge Klaus M. will nicht erkannt werden.

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