Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Unter Wölfen

- VON HENNING RASCHE

Borowski spürt im „Tatort“auf einer entlegenen Insel einer Sage nach. Ein Film über Grenzen und Sehnsüchte.

KIEL Von der Insel Rungholt erzählen sich die Leute in Schleswig-Holstein, dass sie 1362 versunken ist. Das Atlantis der Nordsee, sozusagen. Man sagt, das sei eine Strafe Gottes gewesen. Die Inselbewoh­ner hätten ein Schwein mit Alkohol abgefüllt, es zum Sterben ins Bett gelegt und für die letzte Salbung des Tiers einen Prediger geholt. Als dieser erkannte, dass er ein Schwein salbte, wollte er verschwind­en, aber die Bewohner ließen ihn nicht gehen, sie feixten und spotteten. Später ging der Prediger, so heißt es, in eine Kirche und bat Gott um eine Strafe für die Gottlosen. Kurz darauf ging Rungholt unter.

Es ist nicht ganz verkehrt, diese Sage, die auch in Theodor Storms „Eine Halligfahr­t“auftaucht, im Hinterkopf zu behalten, während man „Borowski und das Land zwischen den Meeren“sieht. Dieser durchaus anspruchsv­olle „Tatort“führt den allein ermittelnd­en Borowski (Axel Milberg) auf die entlegene Insel Suunhold – was sehr bewusst wie Rungholt klingt. Oliver Teuber, der nach einem Kieler Bauskandal mit 300.000 Euro Schmiergel­d auf der Insel untertauch­te, schwimmt tot in seiner Badewanne. Seine bizarre Geliebte Famke Oejen (großartig: Christiane Paul) findet ihn dort, und bestimmt fortan das mystische Ermittlung­sverfahren.

Es ist dies ein sehr nordischer Krimi, mit fantastisc­hen Aufnahmen der Nordsee und den Drehorten Amrum, Pellworm, Fehmarn und Husum. Der Winter dort oben lässt das Meer noch rauer und die Menschen noch eisiger erscheinen. Dem Regisseur Sven Bohse ist mit seinem ersten „Tatort“eines gewiss ganz wunderbar gelungen: die Außenwelt der Innenwelt der Akteure anzugleich­en.

Man kann in diesem Film den Figuren dabei zusehen, wie sie hadern, Grenzen austesten und über- schreiten, sich in ihren Sehnsüchte­n verlieren. Der einsame Wolf Borowski trifft auf die Wölfin Famke Oejen. Man kennt das ja von diesem unkonventi­onellen Borowski, dass er Nähe schafft. Er versetzt sich so weit in Verdächtig­e hinein, dass er fast eins mit ihnen wird. Das wird manchmal unangenehm, so unangenehm wie hier war es allerdings noch nie.

Ein halbes Jahr haben Oejen und der tote Teuber zusammenge­lebt. Sie haben einander nicht erzählt, was vorher war, und sie haben auch nicht besprochen, was kommen mag. Teuber hat hin und wieder auf einer dubiosen Schweinefa­rm gearbeitet, Oejen in einer nicht weniger dubiosen Bäckerei. Das stille und ruhige Inselleben, das ein Stadtbewoh­ner sich wohlig ausmalt, das gibt es in einem solchen Krimi nicht. Famke Oejen hat den Ruf einer Freizügige­n, einer Frau, die mit ihrem Chef schläft, mit ihrem Freund und sonst wem. Sie ist die Außenseite­rin auf Suunhold, und Borowski, der Kommissar, ist ohnehin einer. Das passt, da treffen sich zwei Sehnsüchti­ge.

Die Frage, ob der Übertritt einer Grenze zu einer Strafe führt, so wie in der Sage um Rungholt, begleitet diesen anregenden „Tatort“. Er ist ein echter Borowski. Immer wenn man glaubt, den Kommissar zu kennen, verblüfft er wieder. Man kann sich an diesem Film reiben, darüber streiten, aufregen, aber eines gewiss nicht: ihn egal finden. Das Mystische der See, das Gefühl der Ohnmacht, die Unberechen­barkeit des Lebens, all dies findet sich in einer der besten Geschichte­n der bisherigen „Tatort“-Saison.

Bloß eine neue Assistenti­n könnte Kommissar Borowski gut gebrauchen. Wie gut, dass sich auf Suunhold eine junge Polizistin sehr dafür empfiehlt.

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FOTO: NDR/DPA Der Freund von Famke Oejen (Christiane Paul) wurde getötet, Borowski (Axel Milberg) ermittelt am Strand.

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