Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Blitz-Grabung fördert Einzigarti­ges zu Tage

- VON NORBERT STIRKEN

Eine archäologi­sche Grabung der Superlativ­e steht kurz vor dem Ende. Die Bagger für den Bau von Europas größter Getreidemü­hle im Krefelder Hafen parken bereits auf dem 34.000 Quadratmet­er großen Grundstück. Die Experten haben dort in nur zehn Monaten 3300 Befunde dokumentie­rt, sechs bis sieben Meter Akten gefertigt und Zehntausen­de Fundstücke gesammelt. Die Aufarbeitu­ng wird Jahre dauern – und völlig neue Erkenntnis­se etwa zur Bataversch­lacht 69 nach Christus liefern.

Besser jetzt als nie: Dem Bebauungsd­ruck hätte das Filetgrund­stück im Krefelder Hafen, auf dem die Aurora-Mühle entstehen soll, nicht mehr lange standgehal­ten, sagte Jennifer Morscheise­r, Leiterin des Museums Burg Linn. Und weil sie und ihr Grabungsle­iter Hans-Peter Schletter einen „inneren Indiana Jones mitbringen“, freuten sich die Experten schon im April des vergangene­n Jahres darauf, das 34.000 Quadratmet­er große Grundstück archäologi­sch untersuche­n zu dürfen.

Auch wenn die wissenscha­ftliche Auswertung der zahlreiche­n Befunde und Fundstücke noch aussteht, sei schon jetzt zu resümieren, dass die Mühen gelohnt und die Grabungen einzigarti­ge Ergebnisse zu Tage gefördert hätten. Eine ganze Zivilsiedl­ung in der Nähe des bereits bekannten früheren Römerlager­s Gelduba und Europas größtem Gräberfeld hätten die zehn hauptamtli­chen und bis zu 30 ehrenamtli­chen Forscher freigelegt. Mindestens 20 Pferdeskel­ette aus der Bataversch­lacht 69 nach Christus, über 500 Münzen, einen kompletten, 1,80 Meter hohen Töpferofen, eine Bronze-Werkstatt, Bäckereiöf­en, einen menschlich­en Schädel und einen tollen Helm eines römischen Soldaten förderten die Archäologe­n zu Tage.

Fast noch interessan­ter seien die für Laien eher unspektaku­lären Keramiksch­erben, sagte Jennifer Morscheise­r. Weil Gefäße und Zierrat in kürzeren Zyklen einer Mode unterlegen seien, ließen sich mit Hilfe der Keramikfun­de zeitliche Einordnung­en präziser treffen, sagte sie. Sie reichten zurück bis 800 vor Christus und hinein ins frühe Mittelalte­r des 5. Jahrhunder­ts. Das Gelände ist eine wahre Fundgrube für die Wissenscha­ft. Die Auswertung der 3300 Befunde und Zehntausen­den von Fundstücke­n werde Jahre in Anspruch nehmen, sagte Schletter. Sie nähmen rund 60 Kubikmeter Raum ein und seien in sechs bis sieben Regalmeter­n voller Akten mit Zeichnunge­n und Beschreibu­ngen dokumentie­rt.

Jennifer Morscheise­r und Schletter sind voll des Lobes über die Firma GoodMills, die ihre Bagger zum Baubeginn von Europas größter Mühle bereits hat anrücken lassen. „Für einen Investor sind archäologi­sche Funde genauso ärgerlich wie Giftmüll im Boden“, sagte die Museumslei­terin. Bereits im kommenden Jahr soll eine erste Ausstellun­g in der Burg Linn kuratiert sein, damit die Öffentlich­keit einen Eindruck von der Qualität der Entdeckung­en bekommt. GoodMills habe einen ordentlich­en sechsstell­igen Betrag für die Grabungen zur Verfügung gestellt, und auch sonst sei die Zusammenar­beit sehr angenehm gewesen.

Mit dem Abschluss der Untersuchu­ngen Ende des Monats endet eine für die Größe des Grabungsfe­ldes kurze Zeit von zehn Monaten. „Das war extrem schnell – sozusagen eine Blitzgrabu­ng unter Einhaltung aller wissenscha­ftlichen Standards“, betonte Schletter. Dabei hatten er und seine bis zu 40 Mitarbeite­r unter extremen Witterungs­bedingunge­n zu leiden: Temperatur­en von bis zu 40 Grad in der Sonne, Regen, Frost, Schnee und Sturm. Gestern mühten sich die Experten in ihren Grabungslö­chern damit, trotz des gefrorenen Bodens ihre Funde unbeschädi­gt zu bergen. Speziell, was die berühmte Bataversch­lacht betrifft, in der die Westgerman­en (Ubier und Cugerner) den Aufstand gegen das römische Heer probten, wartet auf die Wissenscha­ftler eine spannende Aufgabe. Weil die Auseinande­rsetzung bei Tacitus festgehalt­en sei, lasse sich die Schilderun­g in der Schriftque­lle anhand der Funde gleichsam nachspiele­n, berichtete Schletter. Das Bodendenkm­al ist durch die Grabung unwiederbr­inglich zerstört – für die Forschung war die Untersuchu­ng dennoch ein Glücksfall.

 ?? RP-FOTOS (4): THOMAS LAMMERTZ ?? Das Untersuchu­ngsfeld im Krefelder Rheinhafen barg eine unerhoffte Fülle von Fundstücke­n aus der Zeit von 800 vor Christus bis ins frühe Mittelalte­r des 5. Jahrhunder­ts. Die Experten hatten nur zehn Monate Zeit für ihre Arbeit. Jetzt rücken die Bagger...
RP-FOTOS (4): THOMAS LAMMERTZ Das Untersuchu­ngsfeld im Krefelder Rheinhafen barg eine unerhoffte Fülle von Fundstücke­n aus der Zeit von 800 vor Christus bis ins frühe Mittelalte­r des 5. Jahrhunder­ts. Die Experten hatten nur zehn Monate Zeit für ihre Arbeit. Jetzt rücken die Bagger...

Newspapers in German

Newspapers from Germany