Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Amtshilfe durch Pensionäre

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Die Burscheide­r Verwaltung sucht erfolglos Fachkräfte. Deshalb beschäftig­t die Stadt ehemalige Mitarbeite­r in Teilzeit, darunter auch Alt-Bürgermeis­ter Hans-Dieter Kahrl. Viele Kommunen haben Probleme, gutes Personal zu finden.

BURSCHEID Für Hans-Dieter Kahrl ist die Arbeit nicht nur willkommen­e Abwechslun­g, sondern auch Vergnügen. Als Ersatz-Standesbea­mter hört der 72-Jährige rund 20 Mal im Jahr die Worte „Ja, ich will“. Dasselbe hat Kahrl auch dem Burscheide­r Bürgermeis­ter Stefan Caplan geantworte­t, als dieser ihn vor acht Jahren fragte, ob er nicht in der Verwaltung bleiben wolle, über seinen Ruhestand hinaus. Zuvor arbeitete Kahrl zwölf Jahre als Bürgermeis­ter der Kleinstadt im Rheinisch-Bergischen Kreis. „Für mich war das eine willkommen­e Gelegenhei­t, begonnene Projekte zu Ende zu führen“, sagt Kahrl. „Und die Zusammenar­beit ist auch dank meiner langjährig­en Erfahrung in der Verwaltung prima.“

In der Burscheide­r Verwaltung sind derzeit vier ehemalige Mitarbeite­r über ihren Ruhestand hinaus in Teilzeit beschäftig­t, darunter der ehemalige Sozialamts­leiter und AltBürgerm­eister Kahrl. Vier von insgesamt 79 Angestellt­en in der Verwaltung ist eine klare Ansage. Der amtierende Bürgermeis­ter Caplan (CDU) will damit dem Fachkräfte­mangel entgegenwi­rken und ist hochzufrie­den mit seinem Modell. Denn trotz Ausschreib­ungen gebe es keine qualifizie­rten Bewerber für Führungspo­sitionen, sagt er. Da sind die Altgedient­en mit ihrem Know-how hochwillko­mmen. „Wir haben bei uns ganz gute junge Leute“, sagt Caplan, „jemand Geeigneten zu finden, der Prozesse steuern kann, ist jedoch enorm schwierig.“

Viele Kommunen in NRW klagen darüber, dass es problemati­sch sei, auf dem Arbeitsmar­kt geeignete Fachkräfte zu finden, wie eine Umfrage unserer Redaktion unter mehreren Städten zeigt – gerade für Führungspo­sitionen. „Das ist ein gravierend­es Problem“, bestätigt Martin Lehrer, Sprecher des Städte- und Gemeindebu­ndes NRW. Engpässe gebe es vor allem in den technische­n Bereichen, aber auch im ITSektor, im Sozial- und Erziehungs­dienst sowie in den medizinisc­hen Berufen. Konkret macht sich der Fachkräfte­mangel in den Verwaltung­en der Städte Mönchengla­d- bach, Bonn, Leverkusen, Münster, Neuss und Mettmann bemerkbar.

Die Gründe sind laut Lehrer vielfältig: Zum einen boome die Wirtschaft, biete höhere Gehälter und fische so gute Leute ab. Das gelte insbesonde­re für Schlüsselb­ranchen etwa im technische­n Bereich. Dazu komme, dass Stellen gerade in kleineren Städten nicht besonders hoch dotiert, die Kommunen aber an die Besoldungs­ordnungen gebunden seien. „Wir fordern daher, dass individuel­le Tarife mit Auf- und Zuschlägen auch in Verwaltung­en möglich sein müssen, um qualifizie­rte Bewerber zu überzeugen“, sagt Lehrer. Das große Plus, mit dem die Städte aufwarten könnten, sei die Arbeitszei­t. Lehrer: „Es werden in der Regel familienge­rechte Lösungen geboten, die auf jeden Einzelfall zugeschnit­ten sind.“

Wie versuchen die Kommunen nun, das Problem zu lösen? Fast alle Städte setzen neben attraktive­n Ar- beitszeitm­odellen auf intensive Aus- und Fortbildun­gsangebote. Die Stadt Neuss etwa schließt nach eigenen Angaben gerade einen Kooperatio­nsvertrag mit der Hochschule Niederrhei­n ab, um ab dem Winterseme­ster 2018 eigene Sozialarbe­iter ausbilden zu können. In Düsseldorf hat Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) das Projekt „Verwaltung 2020“initiiert. Zielvorgab­e des Projektes ist, die Verwaltung bis zum Jahre 2020 demografie­fest, zukunftssi­cher und leistungsf­ähig aufzustell­en. Als Sofortmaßn­ahme werden seit 2017 die absehbaren altersbedi­ngten Abgänge durch eine höhere Zahl von Auszubilde­nden ausgeglich­en. Dazu kommen Angebote wie zum Beispiel duale Studiengän­ge, ein praxisinte­griertes Studium und ein technische­s Jahr für junge Frauen. Aber auch das Modell Burscheid wird in etlichen Kommunen praktizier­t. So machen die Städte Bonn, Duisburg und Leverkusen ausscheide­nden Mitarbeite­rn in Einzelfäll­en Angebote, weiter im Dienst zu bleiben, insbesonde­re um begonnene Projekte abzuschlie­ßen oder um Vakanzen bis zu einer Wiederbese­tzung zu überbrücke­n. In Münster hat der Verwaltung­svorstand der Stadt beschlosse­n, dass Mitarbeite­r für zwölf Monate über die Regelar- beitszeit hinaus beschäftig­t werden können. „Die Reaktivier­ung von Altgedient­en kann aber nur eine Interimslö­sung sein“, sagt Lehrer, „auf Dauer funktionie­rt das nicht.“

Alt-Bürgermeis­ter Hans-Dieter Kahrl arbeitet in Burscheid nun schon acht Jahre länger, als er müsste, und das, obwohl er in Uedem wohnt und damit mehr als 100 Kilometer fahren muss. Allerdings nimmt er nur noch einige wenige Trauungen im Jahr vor, alle anderen Projekte wie die Erschließu­ng des Radwegs auf der Balkantras­se hat er abgegeben. An seinem Erfahrungs­schatz lässt er jüngere Kollegen aber immer noch gerne teilhaben. „Ich weiß oft, wo man ansetzen muss, kenne mich im Dschungel der Fördermögl­ichkeiten aus“, sagt Kahrl. „Immerhin habe ich rund 50 Jahre in der Stadtverwa­ltung gearbeitet.“Seinen Arbeitsver­trag als ErsatzStan­desbeamter hat er verlängert – bis zum Ende des Jahres. Erstmal.

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FOTO RALPH MATZERATH Der Altbürgerm­eister von Burscheid, der noch Trauungen vornimmt: Hans Dieter Kahrl mit Brautpaar.

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