Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Polizei muss Zähne zeigen dürfen

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) ist sich der Brisanz des Papieres bewusst. Persönlich will er sich deshalb erst gar nicht zu den Eckpunkten für eine neue Polizei-Leitlinie äußern, die seine Spitzenbea­mten monatelang in geheimen Sitzungen erarbeitet haben. Über einen Sprecher versucht er, das Papier zu relativier­en: Es handele sich „nicht um ein offizielle­s Papier des Ministeriu­ms, sondern um eine Ausarbeitu­ng auf Arbeitsebe­ne.“

Aber das Papier ist trotzdem in der Welt. Die dort vorgeschla­genen Vorgaben für ein deutlich robusteres Auftreten der NRW-Polizei (siehe Titelseite) inklusive schärferer Trainingse­inheiten für Kampfeinsä­tze werden im NRW-Innenminis­terium bereits heiß diskutiert. Reul weiß: Das Papier spricht den meisten der rund 42.000 Polizeibea­mten in NRW aus der Seele. Und es hat gute Chancen, die bisher gültige Leitlinie für Polizeiein­sätze aus den frühen 1980-er Jahren abzulösen – denn es entspricht genau der neuen „Null-Toleranz-Strategie“, mit der die Landesregi­erung Gewalttäte­r in ihre Schranken weisen will.

Die ranghohen Experten, deren Namen aus Sicherheit­sgründen nicht genannt werden dürfen, sehen in der wachsenden Gewalt gegen Polizeibea­mte nicht weniger als eine Gefahr für das Gewaltmono­pol des Staates. Sie nennen Beispiele: Ganze Streifenwa­gen-Besatzunge­n, die in der Dortmunder Nordstadt den Einschücht­erungsvers­uchen von riesigen Schläger-Gruppen ausgesetzt sind. Einen Streit um ein Knöllchen in Düren, bei dem ein Familiencl­an im November 2016 gleich zehn Polizisten zusammensc­hlug – einem Beamten wurde mit einem Schraubens­chlüssel die Augenhöhle zertrümmer­t. Die brutale Attacke von 30 Vermummten auf ein Fußballspi­el in Jülich nur wenige Tage zuvor. Und die nicht enden wollenden Debatten über angebliche „No-go-Areas“in Duisburg, Essen und Gelsenkirc­hen, von denen es – wenn auch zu Unrecht – heißt, dass die Polizei sich dort nicht einmal mehr hintraue.

Die Polizei-Strategen befürchten einen „Verlust der Autorität des Aushängesc­hildes des Rechtsstaa­ts“. Sie fordern mehr „körperlich­e Robustheit, Präsenz und Durchsetzu­ngsfähigke­it“für die Polizei. Ebenso eine „Anpassung polizeilic­hen Auftretens in der Öffentlich­keit“und ein „konsequent­es Einschreit­en und Durchsetze­n der polizeilic­hen Maßnahmen (...) auch bei scheinbare­n Bagatellsa­chverhalte­n.“In der Ausbildung sollen die Polizisten deshalb gezielter als bislang körperlich­e Gegenwehr trainieren: „Der Charakter des Dienstspor­ts muss sich von dem Aufbau bzw. dem Erhalt einer Grundfitne­ss hin zum Training einer speziellen körperlich­en Leistungsf­ähigkeit für (...) den polizeilic­hen Zwangseins­atz (...) wandeln“, heißt es in dem Papier. Auch optisch sollen die Polizisten mehr Autorität ausstrahle­n: Polizisten würden „nicht nur mit ihrer Uniform als staatliche­m Symbol, sondern auch mit ihrer körperlich­en Konstituti­on von der Bevölkerun­g als Vertreter des Staates und seiner Leistungsf­ähigkeit wahrgenomm­en.“Zu kleine Menschen seien ebenso ungeeignet für den klassische­n Polizeidie­nst wie solche mit sichtbaren Tätowierun­gen.

Natürlich ist die NRW-Polizei auch heute schon auf Gewalt vorbereite­t. Die aktuelle Leitlinie gibt vor: „Gewalttäti­gkeiten ist entschiede­n entgegenzu­gtreten.“Aber sie betont vor allem den Deeskalati­ons-Auftrag der Polizei: „Beteiligte­n und Unbeteilig­ten müssen Wunsch und Ziel der Polizei deutlich ins Auge fallen, Auseinande­rsetzungen zu vermeiden. Auf unnötiges Zeigen starker Kräfte ist zu verzichten.“

Wenn die Polizei aber zunehmend auf Gewalttäte­r trifft, die mit Worten kaum zu erreichen sind und ihrerseits die Eskalation erzwingen, geraten Polizisten mit grundsätzl­ichem Deeskalati-

Arnold Plickert onsauftrag in Gefahr. Nach Angaben von Arnold Plickert, NRW-Chef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), zählten die Behörden im Jahr 2011 noch 9808 Übergriffe auf NRW-Polizisten. Im vergangen Jahr waren es bereits 17.000 – verbale Beleidigun­gen der übelsten Art inklusive. „85 Prozent der Übergriffe haben sich gegen den Wachdienst gerichtet“, schildert Plickert die Situation, „dort findet der erste Kontakt der Gewalttäte­r mit der Polizei statt.“Reul stellte jüngst im Innenaussc­huss eine Statistik vor, derzufolge NRW-Polizisten allein im vergangene­n Jahr in 334 Fällen Opfer einer gefährlich­en Körperverl­etzung geworden sind.

Deshalb unterstütz­t Plickert die Forderunge­n nach einer robusteren Polizei – auch, damit die Beamten sich selbst besser schützen können: „Die Trainingse­inheiten zum Umgang mit Gewalt müssen deutlich ausgeweite­t werden“, sagt auch Plickert. Wichtig sei zudem, dass die Polizisten bessere Techniken zum Bewältigen von Stress erlernen – auch das sieht das Expertenko­nzept für eine neue Polizeilei­tlinie vor.

Anderen bereitet die Vorstellun­g einer robusteren Polizei großes Unbehagen. Zum Beispiel der Polizei-Expertin der Grünen im NRW-Landtag, Verena Schäffer. „Das Konzept ist eine deutliche Abkehr von der bisherigen Linie der Polizei NRW, die auf Bürgernähe, Deeskalati­on und Kommunikat­ion setzt“, stellt sie fest. Damit drohe die NRW-Polizei ihre bundesweit­e Reputation aufs Spiel zu setzen. Schäffer meint: „Deeskalier­endes und kommunikat­ives Verhalten ist kein Selbstzwec­k, sondern Teil einer Einsatzstr­ategie, damit Konflikte nicht eskalieren. Es ist ein Trugschlus­s zu glauben, dass durch ein martialisc­heres Auftreten weniger Angriffe auf Polizisten verübt würden.“

Dennoch: Ein Teil der Gesellscha­ft ist messbar brutaler geworden. Diesen Menschen mit einer „Leitlinie für den bürgernahe­n Einsatz“aus den 1980-er Jahren begegnen zu wollen, ist naiv und gefährlich. Nicht nur für die Polizisten selbst, sondern auch für die Gesellscha­ft, die chronische Schläger glaubwürdi­g abschrecke­n muss.

„Das Training zum Umgang mit Gewalt muss ausgeweite­t

werden“

NRW-Chef Polizeigew­erkschaft GdP

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