Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Probleme der Essener Tafel waren bekannt

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER FOTO: CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Die Maßnahme der Essener Tafel, keine neuen Migranten aufzunehme­n, war seit Anfang Dezember bekannt. Im Rathaus wusste man wohl seit Januar Bescheid. Und auch der Landesverb­and der Tafeln soll vorher informiert gewesen sein.

ESSEN Die Warteschla­nge am Hintereing­ang des alten Wasserturm­s an der Steeler Straße in Essen ist lang. Mütter stehen dort mit ihren Kindern. Ältere Männer und Frauen. Deutsche und Migranten. Alle stehen für etwas zu essen an. Fred Lange ist einer von ihnen. Der 56Jährige ist Neukunde der Essener Tafel und zum ersten Mal da. Er bezieht Hartz IV, den Regelsatz. Wie viele andere, die mit ihm in der Schlange stehen. „Das reicht nicht zum Leben aus“, klagt er. Lange, der seit 2011 arbeitslos ist, kann verstehen, dass die Tafel sich dazu entschiede­n hat, bis zum Sommer keine neuen Migranten aufzunehme­n. „Vielen Menschen hier in Essen geht es sehr schlecht. Sie sind arm – und auf die Tafel angewiesen“, sagt er. So wie er selbst. „Irgendwas mussten die tun. Die Tafel macht schon, was sie kann. Aber sie kann auch nur so viel Essen verteilen, wie sie hat.“

Und es werden von Tag zu Tag mehr Bedürftige. In kaum einer anderen deutschen Großstadt driften Arm und Reich so auseinande­r wie in Essen. Rund 100.000 Menschen leben dort von der Grundsiche­rung. Besonders schlimm ist es im Norden der Ruhrgebiet­sstadt. Wer dort lebt, ist arm – und meist auch bedürftig. Wie Fred Lange, der den Mitarbeite­rn der Tafel sehr dankbar für ihre ehrenamtli­che Arbeit ist. „Schön, dass es Menschen wie sie gibt“, sagt er. Darum ärgert er sich auch sehr über die rechtsradi­kalen Schmierere­ien („Fuck Nazis“und „Nazis“), die Unbekannte in der Nacht zu Sonntag an die Fahrzeuge und die Eingangstü­r der Tafel gesprüht haben. Das sei unterste Schublade. Tafel-Chef Jörg Sartor, der sich seit 13 Jahren um die Bedürftige­n kümmert, hat der „Bild“Zeitung gesagt, dass er wegen der Schmierere­ien und der ganzen Kritik, die auf ihn und seine Kollegen einprassel­t, kurz davor wäre, hinzuschme­ißen. Gestern hat Sartor dazu geschwiege­n und auf eine Vorstandss­itzung der Essener Tafel verwiesen, die heute stattfinde­t. Und nach der er sich in einer Mitteilung über seine Zukunft äußern will. „Wir gehen aber nicht davon aus, dass er geht“, sagte einer seiner Mitarbeite­r unserer Redaktion. „Seine Rücktritts­drohung war wohl der Situation geschuldet und kam aus dem Bauch heraus.“Und eine weitere Mitarbeite­rin sagte: „Gehen Sie mal davon aus, dass er bleibt.“

Bei der Essener Tafel wundert man sich etwas über die Heftigkeit der Kritik. Und besonders über den Zeitpunkt. Denn die Entscheidu­ng steht schon seit dem 8. Dezember 2017 auf der Internetse­ite der Essener Tafel. „Da aufgrund der Flüchtling­szunahme in den letzten Jahren der Anteil ausländisc­her Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 Prozent angestiege­n ist, sehen wir uns gezwungen, um eine vernünftig­e Integratio­n zu gewährleis­ten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalau­sweis aufzunehme­n“, heißt es dort. Bereits seit Januar wird die Maßnahme umgesetzt. Bislang ohne Schwierigk­eiten seitens der Bedürftige­n.

Der Bundesverb­and der Tafeln hatte die Entscheidu­ng als nicht nachvollzi­ehbar kritisiert. Der NRW-Landesverb­and der Tafeln soll aber über den Plan informiert gewesen sein, sagt ein Mitarbeite­r der Essener Tafel. „Herr Sartor ist schließlic­h zweiter Vorsitzend­er des Landesverb­andes“, betont er. Beim Landesverb­and will das so direkt niemand bestätigen. „Aber Sartor hat da mal was angedeutet in der Richtung. Kann also sein, dass er das mal gesagt hat. Aber wir haben so viele Tafeln, die Probleme haben, da kann man nicht alles behalten“, sagt der Landesvors­itzende Wolfgang Weilerswis­t. „Was ich aber genau weiß, ist, dass Sartor die Politik in Essen mehrfach darauf hingewiese­n hat, dass es an allen Ecken und Kanten fehlt. Und es brennt“, betont Weilerswis­t. Der Sozialdeze­rnent der Stadt Essen, Peter Renzel, hat nach eigenen Angaben im Januar von der Maßnahme erfahren. Er habe dann sofort die Vorsitzend­en der Tafel angerufen und auf die aus seiner Sicht unglücklic­he Formulieru­ng auf der Internetse­ite hingewiese­n, schreibt er auf seiner Facebookse­ite.

Für Fred Lange hat sich das Anstellen gestern gelohnt. „Ich habe eine Wurst, etwas Salat und was man sonst noch braucht, um eine Woche klar zu kommen“, sagt er. Der 56-Jährige, der einen Job als Lagerist sucht, ist Mitglied der SPD. Und als solches hat er bei der Abstimmung gegen die Große Koalition gestimmt. „Sonst geht das alles so weiter“, betont er. Mit so weiter meint er vor allem die Zustände in Essen. Die Armut. Und die Probleme der Tafel. „Früher hätte die SPD dafür gesorgt, dass es soweit erst gar nicht kommt und die Tafel nicht so eine Entscheidu­ng treffen muss.“

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SPD-Mitglied Fred Lange (56) ist Kunde der Tafel in Essen.

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