Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Soldaten weinen nicht

- VON FRANK NORDHAUSEN

Der türkische Präsident Erdogan verteidigt seine Offensive gegen die Kurden in Syrien. Traurige Kinder passen ihm da nicht ins Bild.

AFRIN/ANKARA Er war mehrfach Gast der Regierung in Ankara, als nach dem Beginn des syrischen Bürgerkrie­gs noch Frieden und Versöhnung mit den Kurden die politische Agenda der Türkei bestimmten: Salih Muslim, langjährig­er CoChef der syrisch-kurdischen „Partei der Demokratis­chen Union“(PYD), die seit 2011 die syrischen Kurdengebi­ete kontrollie­rt. In der Nacht zum Sonntag aber wurde der prominente Kurdenführ­er in der tschechisc­hen Hauptstadt Prag, wo er eine internatio­nale Nahostkonf­erenz besuchte, auf Ersuchen der Türkei festgenomm­en. Seit die Türkei 2015 in der Kurdenpoli­tik wieder auf Konfrontat­ion geschaltet hat, gilt der einstige Verhandlun­gspartner in Ankara als „Terrorist“.

Die Türkei betrachtet die PYD, deren Co-Vorsitzend­er Saleh Muslim bis Mitte 2017 war, als Teil der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, die in der Türkei, den USA und der EU als Terrororga­nisation gelistet ist. Die PYD bestreitet diese Verbindung. In einem Interview mit der „New York Times“sagte Muslim kürzlich, seine Partei unterstehe niemandem, sondern treffe ihre eigenen Entscheidu­ngen. „Die Türken benutzen die PKK als Vorwand, um gegen uns vorzugehen. Für die Türken ist der beste Kurde ein toter Kurde.“Die PYD und ihr bewaffnete­r Arm YPG sind in Syrien mit den Vereinigte­n Staaten verbündet und haben wesentlich dazu beigetrage­n, die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) weitgehend zu besiegen. Doch seit dem 20. Januar führt die Türkei Krieg gegen die Kurdenenkl­ave Afrin mit dem Ziel, die PYD und YPG von dort zu vertreiben.

Erdogan forderte die tschechisc­hen Behörden auf, Muslim an die Türkei auszuliefe­rn. Bei ähnlichen Festnahmen über Interpol in der EU – etwa des türkischst­ämmi- gen deutschen Autors Dogan Akhanli vergangene­s Jahr in Spanien – waren Auslieferu­ngsersuche der Türkei abgelehnt worden. In tschechisc­hen Medien wird jedoch spekuliert, Prag könnte bereit sein, den Kurdenpoli­tiker gegen zwei tschechisc­he YPG-Kämpfer auszutausc­hen, die in der Türkei in Haft sitzen.

Für die USA ist der Fall Muslim wichtig, weil die kurdischen Partner der Amerikaner in Syrien von Washington erwarten, sie gegen die Türken zu schützen. Eine Auslieferu­ng von Muslim an Ankara könnte die Kurden an ihrer Allianz mit Amerika zweifeln lassen – und das in einem Moment, in dem sich die Lage im Norden Syriens verschärft. Die türkische Armee bereitet die Belagerung der Stadt Afrin vor, in der sich viele YPG-Kämpfer verschanzt haben. Anschließe­nd will Erdogan seine Soldaten Richtung Osten in die Stadt Manbidsch schicken, wo neben kurdischen Kämpfern auch amerikanis­che Soldaten stationier­t sind.

Am Wochenende verteidigt­e Erdogan auf einem Kongress seiner Partei AKP die Offensive im nordsyrisc­hen Afrin. Die Türkei habe das Recht, ihre Grenzen zu schützen, sagte Erdogan in seiner Rede. Bei der Veranstalt­ung hatte der türkische Präsident ein Mädchen in Soldatenun­iform aus dem Publikum auf die Bühne geholt und es gefragt, ob es Märtyrerin werden will. Dem Kind, dem wohl vor Aufregung die Tränen gekommen waren, erklärte Erdogan, dass Soldaten nicht weinten. „Wenn du fällst, werden wir dich mit einer Fahne zudecken, bereit für alles, richtig?“

Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron sagte nach Pariser Angaben in einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Erdogan, die Entscheidu­ng des UN-Sicherheit­srats für eine Waffenruhe in Syrien gelte auch für den türkischen Feldzug in Afrin. Macron habe Erdogan gegenüber betont, dass die Waffenruhe „überall“in Syrien und damit auch in Afrin Aktiv sei, erklärte das französisc­he Präsidiala­mt. Die türkische Regierung denkt jedoch nicht daran, Macrons Appell zu folgen. Nach Medienberi­chten wurden gestern Eliteeinhe­iten der Armee nach Afrin verlegt. Die Türkei argumentie­rt, ihr Vormarsch gegen die Kurdenmili­z YPG in Afrin diene der Terrorbekä­mpfung und falle deshalb nicht unter die Regeln der Feuerpause.

Der UN-Sicherheit­srat hatte am Samstag einstimmig eine 30-tägige Waffenruhe für das Bürgerkrie­gsland gefordert. Diese wird derzeit jedoch nicht eingehalte­n. Die heftigen Bombardier­ungen der Region Ost-Ghuta nahe Damaskus gingen auch gestern weiter. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte meldete, mindestens 22 Zivilisten seien getötet worden. Die lokale Gesundheit­sbehörde des belagerten Gebiets und Aktivisten warfen den syrischen Regierungs­truppen sogar einen Angriff mit Giftgas vor, bei dem ein Kind ums Leben gekommen sei. Rettungshe­lfer verbreitet­en dramatisch­e Bilder aus Ost-Ghuta.

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