Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eher Bronze als Gold

- VON KLAS LIBUDA

In Duisburg feierte das Wolfgang-Petry-Musical „Wahnsinn“Uraufführu­ng. Es bringt die Hits des Schlagerst­ars auf die Bühne. Alle.

DUISBURG Das Theater beginnt schon vor der Tür. Mit dem Porsche Cayenne von Guido Cantz. Das Auto ist auf dem Bürgerstei­g geparkt, weißer Lack, schwarzer Aufdruck, „powered by Porsche Zentrum Bensberg“. Cantz macht mit dem Wagen draußen Werbung für seine nächste Tournee, der Komiker selbst ist längst drinnen, im Warmen, so wie Guildo Horn und Giovanni Zarrella. Auch Maite Kelly gehört zu den Jüngern Petry, wie Heino und Hannelore und Ralph Siegel. Der Komponist („Ein bisschen Frieden“) kommt pünktlich zum ersten Gong. Auf dem roten Teppich lässt er sich noch schnell mit einem Schild in der Hand fotografie­ren, das den Abend gut zusammenfa­sst. Auf dem Schild ein Petry-Zitat: „Augen zu und durch“.

Im Duisburger Theater am Marientor feierte das Musical „Wahn- sinn“Uraufführu­ng, mit den Songs von Wolfgang Petry. Der einstige Schlagerst­ar hat sich vor Jahren aus dem Showgeschä­ft zurückgezo­gen und ist nicht gekommen. Ins Rampenlich­t wolle er nicht mehr, lässt er verkünden, aber: „Reißt die Hütte ab!“Nach drei Stunden steht sie noch. Das Problem ist die Omnipräsen­z des Abwesenden. Drei Dutzend Songs werden an diesem Abend an- und durchgespi­elt und manche wiederholt, darunter eigentlich nur Hits, da bleibt wenig Raum für anderes, eine Geschichte zum Beispiel. Die sollte sich in diesem Musical eben nicht um das Leben von Wolfgang Petry drehen, die Autoren haben sich etwas gänzlich Neues ausgedacht. Ihr „Wahnsinn“erzählt vom Verlieben, Schlussmac­hen und Zurückerob­ern. Und weil Petrys Oeuvre nun mal viele Songs bereithält, die diesen Komplex bedienen, mussten gleich vier Paare her, die zwischen den Songs als Brü- ckenbauer agieren. Es wirkt denn alles auch recht konstruier­t.

Da sind zum Beispiel Sabine und Peter, sie ist mit ihm verheirate­t, er ist mit seiner Spedition zusammen. Sie möchte sich trennen, also singt sie „Ich will das alles nicht mehr“, und im Duett folgt „Verlieben, verloren, vergessen, verzeih’n“. Als Peter herausfind­et, dass Sabine ihn mit seinem Freund Wolf betrogen hat, singt Wolf entschuldi­gend: „Jeder Freund ist auch ein Mann“. Peters Antwort: „Der Himmel brennt“. Und weil sich Wolf, Peter und Sabine schließlic­h noch versöhnen müssen – dieses Musical soll schließlic­h nicht als Drama enden –, geht das alles zack, zack, denn solange gesungen wird, tritt die Handlung zumeist auf der Stelle.

Petrys Lieder sind gemacht als Anheizer, nicht als Antreiber, versteht man jetzt. Später singen Peter und Wolf „Das steh’n wir durch“, und Wolf findet zu seiner alten Lie- be Jessica zurück. Sie sagt: „Du bist es wirklich!“Und er singt: „Du bist ein Wunder“. Alles gut.

Fans von Wolfgang Petry werden sich trotzdem freuen, diese Songs endlich einmal wieder live hören zu können, und sie lassen ja auch kei- nen aus in „Wahnsinn“. Nur spannend ist das nicht, berührend auch nicht. Eher Bronze als Gold.

Was toll ist: die Band. Sie ist dauerpräse­nt, hat einen festen Platz auf einer Lkw-Ladefläche im hinteren Bühnen-Drittel und viel Druck nach vorne. Überhaupt zeigt sich die Bühne von Heike Meixner erstaunlic­h wandlungsf­ähig. Durch drehbare Elemente wird aus einem Schlafzimm­er in Windeseile der Eingang zum Reihenhaus, und aus einer Kneipe wird ein Führerhaus. Im zweiten Teil geht es mit dem Lkw nach Spanien.

Die Kneipe heißt übrigens „Whisky Bill“, und in der gleichnami­gen Gaststätte wurde einst Wolfgang Petry entdeckt. Es gibt viele solcher liebevolle­n Anspielung­en im Stück, Freundscha­ftsbänder hier, Holzfäller­hemden da. Ein Ehepaar heißt mit Nachnamen Remling, so wie Petry eigentlich, und ihr Sohn Tobi träumt vom Durchbruch als Sänger.

E-Mails, Whatsapp, FacebookMe­ssenger: Ein wahres Bombardeme­nt von Nachrichte­n erreicht uns jeden Tag. Das Mitteilung­sbedürfnis unserer Mitmensche­n scheint grenzenlos, was mitunter auch auf die Banalität der Inhalte zutrifft. Auf alles einzugehen, jedem zu antworten, wäre nicht nur zeitrauben­d. In den meisten Fällen fehlt einfach die Lust dazu.

Anderersei­ts: Da war dieser Moment, der einem persönlich gerade ganz wichtig gewesen ist, eine Nachricht von Bedeutung (wie man glaubte), ein außergewöh­nliches Bild. Man zückte das Smartphone, drückte auf den Auslöser, schrieb ein paar treffende Worte (wie man fand), schickte alles in eine der Gruppen, von der man dachte, es könnte dort jemanden interessie­ren, wartete auf Reaktionen – und war enttäuscht, weil die spärlich ausfielen, und das, obwohl zwei blaue Häkchen Kenntnisna­hme signalisie­rten. Sowas vermittelt eine Ahnung vom doofen Gefühl, das Nichtbeach­tung auslösen kann.

Hallo? War das was? Wer Initiative ergreift und andere anspricht, möchte ungern ignoriert werden. Noch schlimmer: Leute, von denen man tagelang keinen Mucks hört, obwohl man ihnen eine direkte Frage gestellt, sie mit einem womöglich eilbedürft­igen Anliegen konfrontie­rt hatte. So etwas passiert häufi- Seine Liebe, Gianna, ist nach einem Petry-Song benannt, und wenn sie nicht weiter weiß, sagt sie stets „Weiß der Geier“.

Petrys Song „Weiber“lässt Regisseur Gil Mehmert von der Therapiegr­uppe für Männer mit gebrochene­m Herzen aufführen, nicht ohne den Einwand eines Patienten, der Terminus Weiber setze die Frau herab. Nur selten funktionie­rt der ironische Bruch mit dem Patron Petry so gut. Vieles ist bloß Klamauk, Datt und Watt, Killefit und Mumpitz. Die Hauptfigur­en sind in dem Ruhrgebiet zu Hause, das man aus den Komödien der 1990er kennt.

Einmal beugt sich einer über die Landkarte von Spanien und sagt: „Guck mal hier auffe Karte. Da sieht datt gar nicht mal weit weg aus.“Man denkt da natürlich an die gleiche Szene aus „Theo gegen den Rest der Welt“und fragt sich, wann es das wohl geben wird: ein Westernhag­en-Musical.

Über gute Kommunikat­ion

ger, seit die Faszinatio­n des schnellen Gedankenau­stauschs an Strahlkraf­t verloren hat.

Tatsache aber ist: Für die moderne Kommunikat­ion gelten dieselben Regeln, denen Menschen seit jeher folgen, wenn sie in Kontakt treten: Zeige Interesse, sei zugewandt, aufmerksam, denn damit bezeugst du Respekt anderen gegenüber. Wem also etwas an jemandem liegt, der sollte auch auf dessen elektronis­che Botschafte­n stets reagieren.

Zumal es inzwischen selbst für die größten Schlafmütz­en im noch größeren Kosmos des Nachrichte­nsendens und -empfangens einfache Mittel gibt, sich bemerkbar zu machen: Emojis. Ein Smiley, ein „Daumen hoch“, meinetwege­n eine knallende Champagner­flasche zeigen: Botschaft angekommen. Später dann womöglich mehr.

Man kann nicht nicht kommunizie­ren – ein alter Satz, der in digitalen Zeiten keineswegs verstaubt daherkommt. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und nett gewiss nicht.

 ?? FOTO: SEMMEL CONCERTS ?? Szene aus dem Petry-Musical „Wahnsinn“. Auf der kleinen Bühne hinten: Tobi Remling (Thomas Hohler), ein aufstreben­der Musiker. Rechts: die Theke des „Whisky Bill“. In der gleichnami­gen Bar wurde Wolfgang Petry einst entdeckt.
FOTO: SEMMEL CONCERTS Szene aus dem Petry-Musical „Wahnsinn“. Auf der kleinen Bühne hinten: Tobi Remling (Thomas Hohler), ein aufstreben­der Musiker. Rechts: die Theke des „Whisky Bill“. In der gleichnami­gen Bar wurde Wolfgang Petry einst entdeckt.

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