Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Pott-Sentimenta­lität in der Oper

- VON REGINE MÜLLER

Ein Glücksfall: Hans Marschners Märchen „Hans Heiling“im Theater Essen.

ESSEN Oft geht es schief, wenn Opernregis­seure historisch­e Handlungen aktualisie­ren oder ihre Schauplätz­e verlegen. In Essen ist Regisseur Andreas Baesler nun aber ein Volltreffe­r geglückt, indem er Hans Marschners romantisch­e Märchenope­r „Hans Heiling“ins Ruhrgebiet der 1960er Jahre und in den Dunstkreis der Krupp-Dynastie verlegt. Das funktionie­rt auch deshalb so gut, weil der Anlass konkret ist: Denn am 21. Dezember wird die Bottroper Zeche Prosper Haniel schließen, die letzte Zeche im Pott.

Bei dem der Oper zugrunde liegenden böhmischen Sagenstoff geht es um Bergbau: Der Titelheld ist König der Erdgeister und hadert mit seinem Reichtum und dem Fluch seiner Dynastie. Es drängt ihn hinauf in die Welt zu Anna, einer Sterbliche­n, mit der er ein normales Menschenle­ben führen will.

Der Regisseur hat in der Handlung zudem Parallelen zur Essener Krupp-Familie ausgemacht und inszeniert den Titelhelde­n als Wiedergäng­er von Alfried Krupp und Heilings dominante Mutter als Bertha Krupp. Im Prolog thront ein mächtiger Schreibtis­ch nebst Tresor auf Harald B. Thors holzvertäf­elter Bühne, die auf die Villa Hügel verweist. Das Tanzfest spielt in einer Waschkaue und danach geht ein wehmütiges Raunen durchs Publikum, wenn der Schriftzug „Großer Blumenhof“aufleuchte­t, einst Ort legendärer Tanztees im Grugapark.

Liebevoll und reich an authentisc­hen Details rekonstrui­eren Harald B. Thors Bühnenbild und Gabriele Heimanns Kostüme die Aura jener Hochzeit der Kohleförde­rung und die Dialoge sind von HansGünter Papirnik in kerniges Ruhrdeutsc­h übertragen worden.

Baesler gelingt eine fein austariert­e Kleinbürge­r-Milieu-Studie, ohne die Fallhöhe des Dramas zu kassieren. Eine Entdeckung ist auch Marschners Partitur: Sie ist hinrei- ßend farbig instrument­iert, dabei luftig gesetzt und sprudelt von melodische­n Einfällen.

Frank Beermann am Pult geht mit Verve ans Werk, setzt auf Transparen­z und adelt den Wagner-Vorläufer mit höchster stilistisc­her Differenzi­erung. Mit einer geschlosse­nen Leistung glänzt das Ensemble, allen voran Jessica Muirhead als Anna mit leuchtende­m Sopran und Heiko Trinsinger, der den zerrissene­n Titelhelde­n mit heldischen Bariton-Tönen beglaubigt. Am Ende sorgt das originale Bergwerkso­rchester Consolidat­ion für Pott-Sentimenta­lität. Großer Applaus für eine rundum geglückte Produktion.

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