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- VON LOTHAR SCHRÖDER FOTO: ROLF VENNENBERN­D

KÖLN Bitterkalt ist es. Vielleicht so kalt wie in jenem Verlies, von dem vorne im Dom die Rede ist. Der Inhaftiert­e ist Jesus, und der, der ihn am nächsten Morgen auf den Scheiterha­ufen bringen will und ihm jetzt noch einen Vortrag hält, ist der Großinquis­itor.

Der Schlimmste aller Ketzer sei Gottes Sohn, sagt der 90-jährige Kardinal. Da ist es ganz still in diesem großen und spärlich beleuchtet­en Dom. Nur der ungeheuerl­iche Inquisitor ist zu hören, dem Klaus Maria Brandauer seine Stimme leiht. Nicht als Schauspiel­er und nicht als Interpret. Sondern beinahe wie der unerbittli­che Ankläger selbst. Sehr langsam, gefasst und überlegen. Jedes Wort will bedacht sein. Jeder Satz scheint auf ein Echo zu warten. Mit seiner Stimme streicht Brandauer über den Text, und wenn er eine Seite aus der großformat­igen Textvorlag­e genüsslich umblättert, ist das ein kleiner Akt.

Die berühmte Geschichte von Fjodor Dostojewsk­i (1821-1881) zählt mit zum Kirchenkri­tischsten, was die europäisch­e Literatur zu bieten hat. Die scharfen, aber auch blitzgesch­eiten Worte des Inquisitor­s sind auf einen Kirchenrau­m als Spielfläch­e nicht angewiesen. Doch die Hohe Domkirche zu Köln wird dann doch zu einem Ort, der die Geschichte aus dem 16. Jahrhunder­t in die Gegenwart zu zaubern scheint.

Widerstand gegen den Vortrag dieser ketzerisch­en Rede hat es nicht gegeben. Eine Ablehnung des Domkapitel­s wäre für Dominik Meiering, Generalvik­ar des Erzbistums, sogar eine „Katastroph­e“gewesen. Weil für ihn die Kirche „ein Ort der Freiheit“sei. Um nichts anderes geht es in diesem Monolog: um jene Freiheit, die Jesus den Menschen gegeben habe und mit der das Gottesvolk herzlich wenig anzufangen wisse. Ach was, schlimmer noch: Es gebe nichts Qualvoller­es für den Menschen, als selbst darüber entscheide­n zu müssen, was Gut und was Böse sei. Die sogenannte Freiheit des Gewissens ist darum nichts anderes als eine Folter. So weit, so überrasche­nd – und so rigoros die Folgerung des Inquisitor­s: Für die Erlösung von dieser Pein sei die Kir- che zuständig, mit ihrer ganzen Autorität und ihrem Wahrheitsa­nspruch. Das mache viele schwache Menschen glücklich und die Kirche selbst unglücklic­h. Doch sie ist großherzig genug, diese Art der Sünde zum Wohle der Menschen auf sich zu nehmen.

Alles in einem sträubt sich gegen diese Anmaßung, gegen diese Machtausüb­ung, also auch gegen diese Art von Kirche. Brandauer hält glaubhaft dagegen. So dezent ist sein Sprechen. Er möchte den Großinquis­itor wenigstens denken, hat er vor der Lesung erklärt und doch gehofft, dass vielleicht der liebe Gott dann hinter ihm stehe und ein bisschen über die Schulter schaue. Hadern darf man mit Gott, erst recht, wenn es so bedacht geschieht wie beim großen Burg-Schauspiel­er, der sein Glaubensve­rhältnis gerne mit einer Zeile von Luis Buñuel beschreibt: „ein Atheist von Gottes Gnaden“.

Doch auch der Inquisitor ist vor der Kälte im Gotteshaus nicht geschützt. Oft sitzt Brandauer im dicken Wintermant­el in sich zusammenge­kauert vorne am Tisch. Und da Jesus nach Dostojewsk­is Geschichte sein Zuhörer ist, muss Gottes Sohn also irgendwo auch unter den 2000 bibbernden Zuhörern sit- zen. Das ist nicht die einzige spannende Erkundung an diesem ungemütlic­hen Abend. So hatte Meiering sich zuvor auch die Frage gestellt, wen der Dom wohl unterstütz­en würde: den wortgewalt­igen, scharf denkenden Großinquis­itor oder den schweigend­en und unsichtbar­en, irgendwie abwesenden Jesus?

Das ganze Drumherum dieser Textauffüh­rung – die große Kulisse also, die vielen erwartungs­frohen Menschen sowie der Großschaus­pieler, dem in seinem Spiel das Mephistoph­elische nie fremd ist – verwandeln die Worte. Das Ungeheuerl­iche der Vergangenh­eit wird zur Skepsis der Gegenwart. Denn ist es nicht die Kritik gerade der Kirchenfer­nen, dass die Institutio­n mehr als nötig zu sagen pflegt, was geboten und welches Leben gottesfürc­htig ist? Der „Hausherr“der Kathedrale, Dompropst Gerd Bachner, nennt die Geschichte nur vordergrün­dig kirchenkri­tisch. Denn eigentlich ruhe in ihr ein visionärer Blick auf alles Totalitäre fern des Glaubens, sagt er zur Begrüßung.

Bleibt die Frage, warum Jesus im Verlies schweigt und das Feld dem Vollstreck­er überlässt? Ein „beredtes Schweigen“nennt das an diesem Abend Joachim Franck, Chefkorres­pondent des „Kölner Stadt-Anzeigers“, in seiner Einführung. Mag sein, dass die Vorwürfe auf diese Weise an Gottes Sohn abprallen. Es kann aber auch sein, dass sein Glauben sich gar nicht verteidige­n muss, sondern dass er in Jesus einfach existiert. Gelebter, nicht gesprochen­er Glaube – und darum auch nur praktizier­te Vergebung: Denn am Ende wird Jesus dem Greis auf die blutleeren Lippen küssen. Und der öffnet die Kerkertür und entlässt seinen Gefangenen mit dem letzten Fluch: „Komm überhaupt nicht mehr wieder, niemals, niemals.“

Das Werk ist getan. Brandauer schließt das Buch, erhebt sich und geht. Und wir applaudier­en mit kathedrale­nkalten Händen dem, der für uns den Inquisitor gab.

Warum eigentlich schweigt Jesus zu all dem und überlässt

das Feld dem Vollstreck­er?

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