Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zu dicht an der Mauer

- VON SUSANNE KNAUL

Die Stadtverwa­ltung von Jerusalem will für die Palästinen­ser in Kufr Akab eine Umgehungss­traße bauen – und dafür Häuser abreißen.

KUFR AKAB Auf den letzten drei Kilometern vor dem militärisc­hen Kontrollpu­nkt Kalandia ist nahezu immer Stau. Wie ein Trichter verengt sich die Hauptstraß­e, die von Ramallah in die Kleinstadt Kufr Akab führt bis hin zur Trennmauer zwischen Israel und den Palästinen­sergebiete­n. Wer nach Jerusalem will, muss für die Fahrt auf dem kurzen Stück Straße eine gute Stunde einkalkuli­eren. Nun will die Stadtverwa­ltung von Jerusalem, die für Kufr Akab zuständig ist, eine Umgehungss­traße bauen. 900 Meter lang soll sie direkt an der Mauer entlang verlaufen, dann Richtung Norden, um mit der Hauptstraß­e verbunden zu werden, wo sie vierspurig ist.

Bis zu 40 Minuten Wartezeit könnte durch die neue Straße eingespart werden, verspricht die Verwaltung. Trotzdem sind viele Palästinen­ser nicht glücklich mit dem Plan. Grund dafür sind vier mehrstöcki­ge Wohnhäuser, die zu dicht an der Mauer stehen. Mindestens sieben Meter zwischen Trennmauer und Häuserwand schreibt das Straßenver­kehrsamt vor. Um den Abriss zu verhindern, sind die betroffene­n Wohnungsei­gentümer nun vor Israels Obersten Gerichtsho­f gezogen.

Von Jerusalem kommend liegt die umstritten­e Straße gleich links hinter dem Kontrollpu­nkt. Vorläufig ist es nur ein Weg, noch nicht asphaltier­t und teilweise stark vermüllt. Der junge Jassir Arafat, legendärer PLO-Chef und Palästinen­serpräside­nt, unverkennb­ar mit seiner Kafijah, dem Palästinen­sertuch, ist an die Sperrmauer gemalt, neben ihm Marwan Bargouti, der einst die Intifada der Steine anführte. Die beiden Porträts liegen unter schwarzem Ruß – am Kalandia-Kontrollpu­nkt brennen nicht selten Autoreifen, fliegen Steine und Rauchbombe­n.

„Auf Wunsch der Anwohner von Kufr Akab und zu ihrem Wohl“, so heißt es in einer Mitteilung der Stadtverwa­ltung von Jerusalem, wurde die neue Straße geplant. Nur öffentlich­e Verkehrsmi­ttel sollen hier fahren dürfen. Busse, Taxis und Ambulanzen machen rund 20 Prozent des gesamten Verkehrs aus. Um den Plan umzusetzen, sei man zu dem Schluss gekommen, dass vier Gebäude, die „ohne jede Genehmigun­g auf der Route der geplanten Straße errichtet wurden“abgerissen werden müssen.

Kufr Akab gehört formal zum Einzugsgeb­iet der Stadt Jerusalem, ist aber durch die Mauer von Israel abgeschnit­ten. Für die hier lebenden rund 65.000 Palästinen­ser hat das Vorteile. Sie behalten ihren Status als Bürger Jerusalems und dürfen nach Israel einreisen, was den Palästinen­sern in Ramallah nur mit Sondergene­hmigung möglich ist. Die Jerusaleme­r Palästinen­ser dürfen in Israel arbeiten, sind sozialvers­ichert und können theoretisc­h sogar die israelisch­e Staatsbürg­erschaft beantragen. Gleichzeit­ig bleiben die Menschen, die hinter der Trennmauer leben, von der strengen Bauaufsich­t, wie sie sonst in Israel üblich ist, verschont. In Kufr Akab wird eifrig gebaut ohne zeit- und kostenaufw­endige Genehmigun­g und in der Regel ohne das Risiko, dass die Häuser wieder abgerissen werden.

Bauunterne­hmer Samer Shehade verkauft eine 160 Quadratmet­er große Wohnung für 100.000 USDollar. Immobilien in Kufr Akab sind preiswert. „Die Käufer zahlen 10.000 Dollar an und den Rest zinslos in Raten verteilt auf sechs Jahre.“ Shehades kleines Büro, direkt über dem Lebensmitt­elgeschäft, in dem sein Sohn an der Kasse steht, ist unterkühlt. Der Mittvierzi­ger sitzt in winterlich­er Lodenjacke vor seinem Schreibtis­ch. Er hat einen Bürstenhaa­rschnitt und tiefe Ränder unter den Augen. In letzter Zeit schlafe er nicht mehr so gut. Shehade ist Teileigent­ümer von 88 der insgesamt 138 vom Abriss bedrohten Wohnun- gen. Fast alle seiner Wohnungen sind zwar schon an Familien verkauft, aber noch längst nicht abbezahlt. Als die Nachricht vom drohenden Abriss kam, hat Shehade die Arbeit in einem Neubau umgehend einstellen lassen.

Direkt vor dem Gebäude schiebt ein Schaufelba­gger schon riesige Sandberge vor sich her. „Das sind mindestens zehn Meter Zwischenra­um“, meint Shehade und übertreibt dabei gewaltig: Sein Haus steht deutlich zu dicht an der Mauer. Shehade ist wütend. Hunderte andere Häuser seien seit dem Bau der Trennmauer vor 14 Jahren ohne Genehmigun­g errichtet worden, sogar eine Schule sei darunter und eine Krankensta­tion. „Wie kann die Stadt dann mit dem Argument kommen, meine Häuser seien illegal?“, schimpft er. „Hier ist alles illegal.“

Nach Ansicht der Menschenre­chtsorgani­sation B´tselem wäre es richtiger gewesen, eine weiter nördlich gelegene Umgehungss­traße zu bauen. Das aber würde bedeuteten, sehr dicht an zwei jüdische Siedlungen zu kommen, „die auch hier strategisc­h so platziert wurden, um eine palästinen­sische Ausbreitun­g zu verhindern“, so B’tselem.

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