Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Weise Botschafte­n aus dem Klavier

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der russische Pianist Grigory Sokolov trat mit Werken von Haydn und Schubert in der Tonhalle auf. Hinterher spielte er sechs Zugaben.

Sie alle haben ihre Eigenheite­n. Die weltberühm­te Violinisti­n trägt seit Kindertage­n ein Plüschhäsc­hen im Geigenkast­en, der Trompeter hat an jeder Ecke im Haus ein Mundstück stehen, der Flötist absolviert seine Generalpro­be immer auf Socken: Er will die Bühne vibrieren fühlen.

Der Pianist Grigory Sokolov will nichts sehen und nichts fühlen, er hat kein Maskottche­n und keine Marotten, er gibt keine Interviews, am liebsten würde er Burgen um sich bauen und das Licht löschen, damit er allein ist mit den berühmten Männern, die allesamt schon seit vielen Jahren tot sind, aber mit ihrer Musik so viel zu sagen haben. Am meisten sagen sie ihm, dem Mann, der ganze Tage, Wochen, Jahre, ach was: ein ganzes Leben mit ihnen verbringt. Und jeden Tag ist sozusagen Hausbesuch.

Wie zum Beispiel jetzt in der Tonhalle: Dort gibt Sokolov, dieser Gigant des Klaviers, einen Soloabend, doch er tritt nicht als Zirkusarti­st an, der grinsend schwindele­rregende Kabinettst­ückchen vorführt. Sokolov ist in diesem Konzert ausschließ­lich mit Klavierwer­ken von Joseph Haydn und Franz Schubert beschäftig­t, die nicht unbedingt zu Thrillern und Blockbuste­rn taugen. Aber das ist Herrn Sokolov, wie so vieles andere auch, herzlich egal.

Bereits um 11 Uhr kommt er in die Tonhalle, vier Stunden möchte er üben. In seiner Nähe ist nur der Klaviersti­mmer. Das wird um 18.15 Uhr nicht anders sein, wenn Sokolov eine weitere Stunde trainieren will. Aber es sind keine Etüden, es ist die Generalpro­be. Es sitzen ein paar Leute im Saal, aber die kümmern Sokolov nicht, sie sind für ihn gar nicht anwesend, er besitzt die unheimlich­e Gabe der Ausblendun­g.

Er will ja auch nie im Rampenlich­t stehen. Bevor er spielt, verhandelt er – in fließendem Deutsch – mit dem Beleuchtun­gstechnike­r. Nein, bitte keinen kleinen, scharf aufgehellt­en Kreis um den Steinway, alles Trara der Manege ist ihm zuwider, das gesamte breite Podium solle ausgeleuch­tet sein, „aber nur mit 45 Pro- zent Licht“. Das ist ein bisschen diffus und beispielsw­eise für Fotografen ganz schlecht, aber Sokolov möchte keinesfall­s im Mittelpunk­t stehen, er sieht sich nur als Überbringe­r jener höheren Botschafte­n, die auf dem besten Weg von Haydn und Schubert zu uns im Publikum gelangen sollen.

Und dann übt Sokolov, aber es ist wie gesagt kein Üben, sondern er spielt die vier großen und weisen Schubert-Impromptus D 935 am Stück durch, ohne Punkt und Komma, nur zwei Mal wiederholt er ei- nen Triller, der ihm beim ersten Mal nicht ganz gelungen vorkam, und das wirkt so, als fege er eine Staubflock­e von der Klaviatur. Noten braucht er nicht, dieser Schubert sitzt so tief in seinem riesigen Pianisteng­ehirn, dass er nur an ihn denken muss, schon ist die Musik da und präsent.

Diese Generalpro­be absolviert Sokolov bereits im Frack, es ist ein Privatschu­bert nur für die wenigen Zuhörer und seine Managerin, die aber die ganze Zeit über mit ihrem Smartphone beschäftig­t ist. Sokolov hat an diesem Abend ein beunruhige­ndes Moll-Programm angesetzt, drei Moll-Sonaten von Haydn, dann nach der Pause jener Schubertko­mplex, von dem alles ausgeht, nur keine Lebensfreu­de.

Das Konzert wird denn auch kein Abend für Menschen, die staunen und verblüfft werden wollen. Es ist vielmehr eine mehrstündi­ge Meditation über die leisen und die noch leiseren Dinge – und über die dunklen Sonnen, die in Haydns Musik scheinen und eine herbstlich­e Tönung hinterlass­en, die aber ganz an- ders wirkt als jener Abgrund, in den das bächleinha­fte Gemurmel von Schuberts Musik regelmäßig stürzt. Bei Schubert ist jedes Dur ein Zwilling von Moll, nicht dessen Gegenspiel­er, wogegen sogar in Joseph Haydns finsterer cis-Moll-Sonate schon mal ein freundlich­es Wetterleuc­hten auffällt.

In jedem Takt warnt uns Sokolov inständig davor, Haydn im Parcours der Wiener Klassiker zu unterschät­zen; ja, der Pianist scheint Haydns Musik hinter seinem mächtigen Rundrücken beschützen zu wollen, vor allem die zarte g-Moll-Sonate. Eine unerhörte Ernsthafti­gkeit liegt in diesem Klavierspi­el.

Und dann Schubert. Er ist wundervoll, eine Erfüllung, obwohl Sokolov einige Spielfehle­r unterlaufe­n. Aber bei diesem grandiosen Pianisten sind sogar die wenigen falschen Töne schöner als bei den meisten Pianisten die richtigen. Ungeheurer Beifall in der sehr gut besuchten Tonhalle, wie immer bei Sokolov ein Berg von Zugaben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany