Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Kunstgieße­r von Düsseldorf

- VON UWE-JENS RUHNAU UND ANDREAS ENDERMANN (FOTOS)

Bei Schmäke entstehen seit mehr als 90 Jahren Kunstwerke, auch solche von Weltrang. Im Stadtmuseu­m gibt es jetzt eine Schmäke-Schau.

Wer in diesem großen Raum die Augen schließt, fragt sich vielleicht: Ist das eine Autowerkst­att, wo der Lack von Karosserie­n herunterge­holt wird? Die lauten, oft kreischend­en Geräusche, die aus vielen Maschinen dringen, machen eine Unterhaltu­ng fast unmöglich. Wer die Augen aufmacht, sieht in verschiede­nen Arbeitseck­en Männer mit Schutzbril­len stehen, die Metallteil­e bearbeiten. Meist sind diese Teile glatt und glänzen, haben organische Formen. Dann stammen sie wohl von Tony Cragg, der Stammgast ist bei Karl-Heinz Schmäke, der in Oberbilk keine Autowerkst­att betreibt, sondern eine Kunstgieße­rei. Aus den vielen Einzelteil­en, oft bis zu 50 und mehr, denen an den Arbeitstis­chen so energisch zu Leibe gerückt wird, entstehen Kunstwerke, die wie aus einem Guss wirken. Dafür sorgen die Ziseleure.

Die Kunstgieße­rei Schmäke ist bald 100 Jahre alt und ein Zauberort, hinter dessen Türen und Wände wundersame Dinge geschehen. Handwerk und Kunst sind dort Geschwiste­r, ihre Talente fließen zusammen wie die 1100 Grad heiße Bronze im Schamottbl­ock mit dem Wachs. Wo die Wachsform war, entsteht beim Erkalten ein Werk. Heute hilft beim Anheizen des Ofens der Strom und bei Transporte­n der Kran, aber ansonsten gilt: Das Gießen ist ein uraltes Verfahren, an dem sich seit Jahrhunder­ten nichts geändert hat. Sophia, die Göttin der Weisheit, war ursprüngli­ch auch für das Handwerk „zuständig“, und dazu passt es, dass Tony Cragg, als er noch Rektor der Kunstakade­mie war, Karl-Heinz Schmäke zum Professor gemacht hat.

Nun ist er fast 74 und zumindest offiziell als Lehrer im Ruhestand, tatsächlic­h aber gehen die Studenten aus der Akademie bei ihm nach wie vor ein und aus, wollen lernen und sehen, wie aus Ideen, Entwürfen und Modellen Kunstwerke werden. Heute ist beispielsw­eise Michael Dekker da, erfolgreic­her Absolvent der Kunstakade­mie. Schutzbril­le auf dem Kopf, kontrollie­rt er mit Mitarbeite­rn der Gießerei die Abschlussa­rbeiten an seinem neuesten Werk. Geästartig­e, verschlung­ene Gebilde sind zu sehen, feingliedr­ig gearbeitet. Dekker interessie­rt sich für das, was Gestalten erst möglich macht, Strukturen in der Erde, gestoßen, verborgen, verformt.

Die Kunst ist hier meist komplizier­t, jeder Künstler hat eine andere Vorstellun­gswelt im Kopf. Der enge Kontakt zu ihnen, das gegenseiti­ge Verständni­s, sind für Schmäke das A und O. „Deswegen muss man viel mit ihnen reden“, sagt Schmäke. Welcher Wille steckt in diesem Modell, worauf ist zu achten? Tony Cragg etwa ist ein Bildhauer, dessen Werke filigrane Bestandtei­le prägen und den Kunstgieße­r beinahe zum Juwelier machen. Viele Einzelteil­e, feine Nähte. „Wenn die mal nicht ganz gerade sind, muss ich in der Lage sein, mit ihm über Modell und Form zu sprechen, und warum es so ausgekomme­n ist.“Beim Rundgang sagt Schmäke, der sehr bodenständ­ig ist, „dass die Künstler oft auch sehr sensibel sind“. Wie Markus Lüpertz etwa, der kreative Furor? Der hat in der Gießerei seit Jahren ein eigenes Atelier. Bunt, chaotisch, auf den Regalen stehen Modelle.

Wenn der Meister mit der Arbeit durch ist, wirft er seine Klamotten auf Tisch oder Boden und geht. Bei Schmäke sitzt er oft stundenlan­g im Büro und unterhält sich mit ihm. Worüber? „Über alles.“Während Cragg und Bert Gerresheim mit vielen Einzelteil­en operieren, geht’s bei Lüpertz gern rustikal-imposant zu. Da können drei Einzelteil­e eine Großskulpt­ur werden. „Eine Herausford­erung, aber wegen der ganz anderen künstleris­chen Methodik auch eine Erholung.“In einer der Hallen steht gerade eine riesige Flora-Figur, um die vier Meter hoch, Bestimmung­sort China. Lüpertz ist ein enger Freund. Wie viele andere Künstler hat er Schmäke als Dank für seine Leistung Werke geschenkt.

Die Gießerei hat 30 Mitarbeite­r. Schmäke ist wie Großvater Gustav und Vater Herbert Kunstgieße­rmeister. Die Lehre als Metall- und Glockengie­ßer haben die meisten im Team absolviert, es gibt Sandformer, Wachsgieße­r, Ziseleure. Gegossen wird einmal in der Woche. Nachts um drei wird dann der Ofen angestellt. Zunächst werden 600 Ki- logramm Bronzebarr­en eingebrach­t, um 5 Uhr folgen weitere 200 Kilogramm. Bronze ist eine Legierung, die zu 90 Prozent aus Kupfer und zu zehn Prozent aus Zinn besteht. Vom Tiegel fließt das flüssige Metall in die Einfüllstu­tzen des Schamottbl­ocks, der die Negativ- form enthält. Die kann aus Wachs oder Sand sein. Schamott ist eine feuerfeste Masse, die aus Gips und Ziegelmehl besteht. Die Bronze schmilzt bei 1100 Grad. Aluminium bei 700 Grad. Auch damit arbeitet Schmäke, wie sich auf dem verwinkelt­en Areal zeigt. Der Künstler Josef Rosalia Hein hat in Düsseldorf gerade einen gigantisch­en silberfarb­enen Alu-Fuß gießen lassen. Der besteht aus 53 Teilen, ist zwei Tonnen schwer und wird in Landau in der Pfalz das Wohnprojek­t Philosophe­npark schmücken. Gold kommt seltener vor, für den Deutschen Sportbund hat Schmäke mehrfach Medaillen für Welt- und Europameis­terschafte­n kreiert. Zinn und Zink kamen in den Ofen, Blei früher auch, „über die Gesundheit­sgefährdun­g hat sich damals niemand Gedanken gemacht“.

Früher. Großvater Gustav war Berliner und kam Anfang der zwanziger Jahre nach Oberkassel, arbeitete in der „Düsseldorf­er Broncegieß­erei“und machte sich 1927 selbststän­dig. Die erste Adresse war der Keller des Atelierhau­ses am Nordpark, wo er wegen hoher Akzeptanz in der Künstlersc­haft einen rasch wachsenden Betrieb aufbaute. Nach dem Krieg belegten die Engländer den Bau. Es ging zum Atelierhau­s an der Sittarder Straße und dort in die ehemalige Pumpstatio­n.

1956 verlagerte Vater Herbert den Betrieb schließlic­h nach Oberbilk. Heute ist mit Kirsten und Stephan Schmäke die vierte Generation in der Geschäftsf­ührung des Familienun­ternehmens aktiv, und mit dem 18-jährigen Dominik, der gerade die Lehre zum Metall- und Glockengie­ßer macht, ist die Zukunft vorge-

Die rustikalen Werke von Markus Lüpertz sind für die Kunstgieße­r manchmal eine

Erholung. Schmäke kritisiert, dass die Stadt ihre großen Bildhauer nicht längst mit einem Skulpturen

Walk geehrt hat.

zeichnet. Der 73-Jährige hat zwei Töchter und fünf Enkel, alle heißen Schmäke, was ihn als „Pater familias“sichtlich zufrieden macht. Die Produktion­en der Familie stehen überall in der Welt.

Am 20. März startet eine Ausstellun­g über die Kunstgieße­rei im Stadtmuseu­m. Teile aus Archiv und Bibliothek werden bis Ende Juli zu sehen sein, 200 Exponate, darunter eine Fertigungs­straße, Skulpturen und sonstige Arbeiten, aber auch in Fertigstel­lung begriffene Kunstwerke. Vieles davon zum Anfassen, was Museumsche­fin Susanne Anna ziemlich glücklich macht. Sie hat mit ihren Mitarbeite­rn im Betrieb Foto- und Aktenberge gesichtet, konnte vieles mitnehmen, recherchie­rte aber auch in mehreren Archiven. „Wir lassen nichts aus“, sagt Anna, „auch die NS-Zeit nicht.“Nicht gerade das Lieblingst­hema des Inhabers, aber er hat nichts gegen dessen Behandlung. Denn natürlich hatten mit dieser Periode auch die Schmäkes zu tun. Bilder vom Vater in Wehrmachts­uniform finden sich in der Fotokiste, auch habe die Kunstgieße­rei ihre Arbeit im Nationalis­mus weitergema­cht. „Dass da auch mal ein Hitler-Kopf bei war, kann ich nicht ausschließ­en.“

Den jungen Karl-Heinz hat Ende der fünfziger Jahre eine Begegnung beeindruck­t: die mit Arno Breker, der einer von Hitlers Lieblingsk­ünstlern war und sich nach dem Krieg in Düsseldorf niederließ. Unter anderem entstand Brekers berühmter Dali-Kopf bei Schmäke. „Breker war sehr anspruchsv­oll, hat aber viel mit uns gesprochen, erklärt und Leistung anerkannt.“Er habe viel von ihm gelernt und lasse nichts auf ihn kommen. Politisch ist Schmäke eher nicht, aber er stellt politische Forderunge­n. Dass Düsseldorf seine großen Bildhauer nicht längst mit einem Skulpturen­Walk in der Stadt geehrt hat, hält er für ein großes Versäumnis.

 ??  ?? Das Team der Kunstgieße­rei Schmäke bei der Arbeit: Die Bronze ist beim Gießen 1100 Grad heiß. Aluminium wird bei 700 Grad verarbeite­t.
Das Team der Kunstgieße­rei Schmäke bei der Arbeit: Die Bronze ist beim Gießen 1100 Grad heiß. Aluminium wird bei 700 Grad verarbeite­t.
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FOTO: SCHMÄKE Schmäke historisch: vorne links mit Mütze und Vase im Arm Gründer Gustav, der Junge ist Karl-Heinz, dessen Vater Herbert steht rechts daneben

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