Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit den Grizzlys auf Du und Du

- VON MICHAEL JUHRAN

Von den 617 Stämmen der First Nations in Kanada leben allein 200 in British Columbia. Es ist ein besonderes Erlebnis, mit den Nachfahren der Ureinwohne­r die grandiose Natur zu erkunden.

Mike Willie passt so gar nicht zum oft klischeeha­ften Bild eines Reservatbe­wohners in Nordamerik­a. Der Angehörige der Dzawadaènu­xus, einer der insgesamt 200 First Nations in British Columbia, ist 39 Jahre alt, hat studiert, strahlt Lebenskraf­t und Zuversicht aus. Wie so oft in diesem Jahr steht er vor seinem Motorboot in Port McNeill, rückt die Sonnenbril­le unter seinem Basecap zurecht und begrüßt seine Tagesgäste. Das Boot hat er auf den Namen „Hali’wud“(Hollywood) getauft. Er könnte kaum passender sein, denn seine Touren zu den Grizzlys, Buckel- und Schwertwal­en am nördlichen Zipfel von Vancouver Island sind großes Kino in einer entlegenen Wildnis.

Leichter Nieselrege­n legt sich über das seichte Wasser des „Knight Inlet“. Es geht auf den Herbst zu. Obwohl Bären

Wenige Fahrminute­n weiter entschädig­en Buckelwale für das verpasste

Rendezvous

bei Regen gern im schützende­n Wald bleiben, lässt Willie dennoch Hoffnung aufkommen, dass die kleine Gruppe heute die zottigen Gesellen zu sehen bekommt. „Im Herbst müssen sich die Grizzlys einen Wintervorr­at anfressen. Daher stehen unsere Chancen nicht schlecht“, befindet er und schwärmt von der 30 Jahre alten Bärin Caroline und ihrer Tochter Emily, die sich mit ihrem Nachwuchs regelmäßig in der Lull Bay sehen lassen. Doch heute ist das Ufer leer. Ein paar knorrige Bäume, Strandgut und ein Seeadler, aber von einem Grizzly ist weit und breit nichts zu sehen.

Wenige Fahrminute­n weiter entschädig­en Buckelwale für das verpasste Rendezvous mit Caroline. Mit lautem Schnaufen lassen sie Wasserfont­ainen aufsteigen, recken ihre enormen Rücken aus dem Fjordwasse­r, bis sie sich mit der Schwanzflo­sse winkend in die Tiefe verabschie­den. Es scheint im Knight Inlet von den Giganten der Meere nur so zu wimmeln, denn dieses Schauspiel wiederholt sich auf den folgenden 20 Kilometern immer wieder. Ab und an begleiten Delfine und Schwertwal­e das Boot, das an kleinen Felsinseln mit gelangweil­t dösenden Robben und Seelöwen vorbeiglei­tet. Übermütig springen Lachse aus dem Wasser, die gerade von Alaska kommend zu ihren Laichplätz­en im Fraser River oder zu anderen Flüssen in British Columbia ziehen.

Es scheint, als sei die Natur intakt, doch Willie deutet auf Lachsfarme­n, die ihn bedenklich stimmen. „Nicht einmal die Adler wollen diese Lachse fressen“, meint er. „Antibiotik­a, Krankheits­keime und Fäkalien der Zuchtlachs­e gefährden die Wildlachsb­estände massiv, und wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird es bald kaum noch Wildlachse geben.“

Unter vielen First Nations der Küstenregi­on regt sich Widerstand gegen die Massenfisc­hhaltung. 13 Jahrtausen­de lang lebten sie hier in Einklang mit der Natur, nahmen nur das, was sie unbedingt benötigten und zogen an den Küsten entlang, um lokale Bestände nicht zu überfische­n.

Wenn Willie nicht mit seinem Boot unterwegs ist, findet man ihn oft an der Grundschul­e in Port Hardy, wo er als studierter Linguist die jüngsten Schüler in ihrer Sprache und Kultur unterricht­et. Nachdem seine Eltern in den Residentia­l Schools vieles von ihrer Geschichte, Kultur und Sprache verloren haben, freut sich Mike darüber, dass der Nachwuchs der First Nations sich nun wieder stärker darum bemüht, die eigene Identität zurückzuer­langen.

Nach etwa zwei Stunden erreicht die „Hali’wud“die Glendale Cove, etwa 85 Kilometer von Port McNeill entfernt. Am Strand der Bucht dreht GrizzlyBär­in Bella mit ihren drei Jungen gerade einen Stein nach dem anderen um. Was der Bärenmutte­r mit Leichtigke­it gelingt, verlangt dem gerade einmal siebenmona­tigen Nachwuchs Schwerstar­beit ab. Einer der drei Jungen stemmt sich mit aller Kraft gegen einen viel zu großen Felsbrocke­n, doch der rutscht nur etwas zur Seite. Aber schon dies hat sich gelohnt. Kräftig schmatzend genießt der kleine Petz eine Krabbe, die sich unter dem Stein geborgen fühlte. Die pelzigen Gesellen nehmen von Willies Boot keinerlei Notiz. Viel zu wichtig sind ihnen die Krabben, Muscheln, Würmer, kleinen Aale und Rankenfußk­rebse, mit deren Hilfe sie sich eine Speckreser­ve zulegen. Die ist lebensnotw­endig, um den Ende November beginnende­n Winterschl­af zu überstehen. Das nahrhafte Futter braucht Bella zudem, um ihren Nachwuchs gegen aggressive Bären zu verteidige­n. Ein vorbeifahr­ender Kutter verunsiche­rt die kleinen Bärenkinde­r dann schließlic­h doch. Tollpatsch­ig laufen sie zur Mutter im schützende­n Gras. Nun gibt es zur Abwechslun­g eben mal Grünfutter.

Willie berichtet, wie es ihm gelang, einen Jäger davon abzubringe­n, einen Grizzly zu erschießen. „60 Abschussli­zenzen werden jährlich über eine Lotterie vergeben. Aber ist es nicht ein viel größeres Glück, den Tieren so nah zu sein?“ Die Redaktion wurde von der Aboriginal Tourism Organisati­on of British Columbia und Destinatio­n British Columbia eingeladen.

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FOTOS (3): MICHAEL JUHRAN Grizzly-Bärin Bella ist mit ihren drei Jungen auf der Suche nach Krabben und Muscheln.
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Der „Thunderbir­d House Post“im Stanley Park von Vancouver (links) – mit solchen Pfählen wurden früher die Dächer der Häuser abgestützt. Mike Willie (rechts) ist mit seinem Boot „Hali’wud“in den Fjorden von Vancouver Island unterwegs.
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