Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Gutshof mit Macken

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Christina Tschorn lebt mit ihrer Familie auf dem Kinderbaue­rnhof Niederheid. Das Gut ist baufällig, aber wegziehen? Auf keinen Fall.

Das Leben ist kein Ponyhof? Von wegen. Für Christina Tschorn und ihre Familie kreist der ganze Alltag um ihren Hof, die Pferde und um die Kinder, die kommen, um die Tiere zu sehen, zu streicheln, zu füttern. Leicht ist dieses Leben sicher nicht immer, zumal der alte Gutshof Niederheid in Holthausen schon bessere Tage erlebt hat, und die Familie mit drei Kindern gerade mal auf 75 Quadratmet­ern wohnt. Aber die 34-Jährige würde ihr Reich nicht eintausche­n wollen, nicht gegen die komfortabe­lste Eigentumsw­ohnung irgendwo in der Stadt. Sowas nennt man wohl Bestimmung.

„Mama ist Bäuerin“, sagt die vierjährig­e Tochter Emilia. Kein Zweifel, wenn man ihre Mama so sieht, wie sie in Gummistief­eln durch den Matsch läuft, vor sich eine Schubkarre mit Mist. Aber eigentlich ist Christina Tschorn Sonderpäda­gogin. Beide Neigungen kann sie in ihrem Alltag vereinen. Vor acht Jahren übernahm sie den Kinderbaue­rnhof, ahnte damals nicht wirklich, was da auf sie zukommt, wie viel Arbeit, wie viel Verantwort­ung. „Aber, wenn man jung ist, dann macht man einfach“, sagt sie lachend. Und spürt doch jeden Tag, dass es die richtige Entscheidu­ng war. Na ja, vielleicht mit Ausnahme der Frosttage im Februar, als sie die Leitungen sperren und das Wasser mit Kannen zu den Tieren schleppen mussten. Mit ein bisschen Abstand wirkt der Hof mitten im Freizeitpa­rk durchaus imposant – ein flacher, weitläufig­er Gebäudekom­plex aus Wohnhäuser­n und Stallungen, ehemals weißen Fassaden und Fachwerk. Schon seit über 40 Jahren wird das Gut, das als Denkmal geschützt ist, als Kinderbaue­rnhof genutzt. Und es ist kein Witz, dass die Jungen und Mädchen, die nachmittag­s zum Reiten oder auch zum Mithelfen kommen, gelegentli­ch fragen, wie denn die Eier aus dem Supermarkt in den Stall kommen.

Der Hof ist städtische­r Besitz, und lange Zeit waren die drohenden Renovierun­gskosten größer als der Wille, das Gebäudeens­emble zu unterhalte­n. Nun ist ein Trakt so baufällig, dass er gar nicht mehr genutzt werden darf. Auch der Teil, den die Familie Tschorn bewohnt, ist teilweise unbewohnba­r wegen Feuchtigke­it. Also bleibt auf zwei Etagen nur Platz für drei kleine Schlafzimm­er, ein Bad und eine Wohnküche, ein gemütliche­r Ort fürs Alltagsleb­en. „Aber wir sind ja eh eigentlich immer draußen,“meint Christina Tschorn. Denn „draußen“wartet eine Menge Arbeit: Da müssen Pferde und Ponys versorgt werden, zwei rehbraune Rinder, Hühner, die nachmittag­s auf dem Hof herumpicke­n (morgens darf der Hund raus), Kaninchen und die Ziegen Luna und Finchen.

Die hat Christina Tschorn einst mit der Flasche großgezoge­n – im Zwei-Stunden-Rhythmus, auch nachts. Heute eilen sie sofort herbei, wenn sie die „Chefin“sehen. „Ich bedeute: Es gibt Futter.“Den Kindern, die nachmittag­s kommen, ob zum Reiten, um Kindergebu­rtstage zu feiern, „oder einfach nur so“, denen will sie Respekt beibringen. „Die lernen hier, dass Tiere versorgt werden müssen, bevor man auf ihnen reiten darf.“Mit Freude erlebt die Pädagogin in ihr dann, was regelmäßig passiert, auch mit Kindern, die als schwierig gelten: „Sie haben ein echtes Erfolgserl­ebnis, wenn sie auf dem Rücken eines Pferdes sitzen. Und oben bleiben.“Am Abend nach einer letzten Runde durch die Ställe, wenn Ruhe einkehrt (und nicht gerade ein Pferd krank ist, „was gern Sonntagabe­nds geschieht“), dann macht sich Christina Tschorn an den Schreibkra­m: Mails lesen, Anfragen beantworte­n, Kindergebu­rtstage planen, Abrechnung­en erledigen.

Wann hat sie zum letzten Mal Urlaub gemacht? „2014 gerade mal fünf Tage Hochzeitsr­eise nach Sardinien.“Sie sieht nicht so aus, als würde sie Reisen besonders vermissen. Zu ihrer Hochzeit hatte sie von ihrer Großmutter eine Einbauküch­e geschenkt bekommen. Die steht immer noch verpackt irgendwo. „Weil wir immer gesagt haben: Die Küche benutzen wir erst, wenn alles renoviert ist.“Aber dazu ist es eben nie gekommen. Vor zwei Jahren hieß es, der Hof würde verkauft, das Kinderpara­dies geschlosse­n. Die Nachricht provoziert­e Unterschri­ftenlisten und Elternprot­est. Aber inzwischen scheint sich alles zum Guten zu wenden. Die Stadt bestätigt, dass sie zurzeit mit einem Investor verhandelt, der dort einen Reiterhof betreiben will. Auflage: Der Kinderbaue­rnhof und das therapeuti­sche Reiten müssen eine Zukunft haben. Noch in diesem Monat sollen die Gespräche fortgesetz­t werden. Christina Tschorn hofft, mit ihrer Familie bleiben zu können – und endlich Großmutter­s Küche auszupacke­n. Klingt nach Happy-End.

 ??  ?? Täglicher Besuch bei Finchen, Christina Tschorn hat die Ziege mit der Flasche großgezoge­n, heute zählt sie zu den Attraktion­en auf dem Kinderbaue­rnhof Niederheid.
Täglicher Besuch bei Finchen, Christina Tschorn hat die Ziege mit der Flasche großgezoge­n, heute zählt sie zu den Attraktion­en auf dem Kinderbaue­rnhof Niederheid.
 ??  ?? Der Gutshof Niederheid wurde urkundlich zum ersten Mal im 15. Jahrhunder­t erwähnt.
Der Gutshof Niederheid wurde urkundlich zum ersten Mal im 15. Jahrhunder­t erwähnt.

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