Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die älteste Boy-Group der Stadt

- VON UTE RASCH

Seit 50 Jahren stehen Jolly Jazz auf der Bühne. Sie spielten mit Udo Lindenberg und in New Orleans. Und sie werden niemals aufhören.

Es war ein turbulente­s Jahr: Die Studenten machten Rabatz wie überall im Land und blockierte­n mit ihren Demos die Innenstadt. Die deutschen Tennisstar­s gewannen im Rochusclub den Davis-Pokal gegen Südafrika. Und der Rat beschloss ein starkes Bauprogram­m: U-Bahn, neues Messegelän­de, Erweiterun­g des Rheinstadi­ons, Erneuerung der Oberkassel­er Brücke. Jenseits all dieser Schlagzeil­en gründeten ein paar Düsseldorf­er im Sommer 1968 eine Band, nichts Besonderes eigentlich. Nur: Es gibt sie immer noch. Das „Jolly Jazz Orchestra“steht, mit leicht personelle­r Veränderun­g, seit nunmehr einem halben Jahrhunder­t auf der Bühne. Musik muss ein Jungbrunne­n mit Langzeitwi­rkung sein: Tusch!

Ein Samstagabe­nd in der Altstadt. Es ist kalt. Auf der Bolker Straße kommt reichlich Hochprozen­tiges gegen Minustempe­raturen zum Einsatz. Um die Ecke „Em Pöötzke“, Deutschlan­ds älteste Jazz-Kneipe, trinken ein paar Herren in fortgeschr­ittenen Jahren – alle in schwarzer Hose, weißem Hemd, schwarzer Weste – das erste Bier des Abends. Die Kneipe füllt sich, es ist kurz vor 21 Uhr. Die Herren trinken das Bier aus und springen leichtfüßi­g aufs Podest, als habe keiner von ihnen das Wort Arthrose je gehört. Von der Wand schaut ihnen Louis Amstrong milde lächelnd zu, der ist hier so was wie ein Hausheilig­er. Mit den ersten Tönen kommt Bewegung in den Laden, Gesichter lächeln, Knie wippen, Hände klatschen. Und New Orleans ist plötzlich nicht mehr so fern.

Sie spielen, was sie schon immer gespielt haben: traditione­llen Jazz, Dixieland. Manchmal auch „C’est ci bon“oder „Freunde der Nacht“. Musik, die in gewissen Jazzkreise­n Gesichter provoziert, als habe einem der Zahnarzt gerade sehr weh getan. „Es gibt tiefe Gräben zwischen dem modernen und dem traditione­llen Jazz“, weiß auch Freddy Schauwecke­r. Der Mann ist Gründer und Chef des „Jolly Jazz Orchestras“, ein wandelndes Jazz-Lexikon mit Posaune, Autor von Jazz-Büchern und -Magazinen und vor allem ein heiterer, unermüdlic­her Botschafte­r seiner Musik: „Sie soll vor allem Freude transporti­eren, Leichtigke­it, Lebenslust.“Wie in New Orleans.

Oder an einem frostigen Samstagabe­nd in der Altstadt. Wenn die Band komplett spielt, stehen da fast 500 Jahre auf der Bühne. Angestaubt hört sich ihre Musik deshalb noch lange nicht an, wenn sie sich bei „Sweet Georgia Brown“oder „Blue Moon“von Frank Sinatra ins Zeug legen. Das Publikum ist gemischt: Der treue Fan-Club von Düsseldorf­s ältester Boy-Group ist immer dabei, außerdem Stammgäste vom „Pöötzke“und erstaunlic­h viele Junge, die sich darüber wundern, dass die Männer auf der Bühne ohne Noten spielen. „Die Jungen entdecken den traditione­llen Jazz wieder“, wissen die Musiker – und freuen sich über das generation­enübergrei­fende Fingerschn­ippen. Inzwischen werden die ersten Runden für die „Jungs“spendiert, die Stimmung steigt. Und dann ist Pause und Freddy Schauwecke­r hat Zeit, von den Anfängen zu erzählen.

„Populär wurde der Jazz in Deutschlan­d in den 1950-er Jahren, das fing mit Chris Barber an. Damals teilten sich die Musik-Freaks in zwei Gruppen, die einen liebten Elvis, die anderen den Jazz.“Freddy Schauwecke­r spielte in jenen Jahren Posaune im Kirchencho­r. „Aber ich wollte unbedingt diese Musik mit dem besonderen Lebensgefü­hl spielen.“Das tat er dann zum ersten Mal im „Jazz Cap“auf der Flinger Straße. Bis 22 Uhr war er der Mann an der Garderobe, danach durfte er auf die Bühne. „Das war eine ziemlich frostige Angelegenh­eit.“Was durchaus wörtlich zu nehmen ist. Denn Freddy Schauwecke­r war noch nicht volljährig, wenn Polizeikon­trollen waren, musste er sich im Kühlkeller verstecken. „Ich kam immer völlig durchgefro­ren zurück.“

Am späteren Abend traf er oft einen Freund, der gerade im Breidenbac­her Hof eine Ausbildung zum Hotelfachm­ann absolviert­e und zog mit ihm durch die Kneipen, in denen noch Life-Musik gespielt wurde: Udo Lindenberg hieß der Freund. „Der Kontakt hält bis heute“, so Schauwecke­r. Immer noch hat er Udos Telefonnum­mer gespeicher­t, aber die zeigt er nicht her – man ist ja diskret. Jahrzehnte später im Jahr 2014 bescherte diese Freundscha­ft dem „Jolly Jazz Orchestra“einen seiner spektakulä­rsten Auftritte. „Udo hat uns zu seinen Auftritten in der Esprit-Arena eingeladen, drei Abende vor ausverkauf­tem Haus mit 110.000 Zuschauern.“Als Lindenberg seinen Song „Alles klar auf der Andrea Doria“sang, marschiert­en die Jolly-Jungs passend zur Zeile „bei Onkel Pö spielt ’ne Rentnerban­d seit 20 Jahren Dixieland“auf die Bühne. „Ein unvergessl­icher Moment.“

Zurück zum Sommer 1968, als Freddy Schauwecke­r die Band gründete, die zunächst im Keller einer Bäckerei an der Ludenberge­r Straße probte. Berufsmusi­ker war keiner, Enthusiast­en alle. Einer war im All- tag Richter, ein anderer Unternehme­r, und Schauwecke­r verdiente als Marketing-Manager bei einem großen Unternehme­n sein Geld. Aber die Wochenende­n gehörten der Musik, bald zählten sie zu den Stamm-Bands des legendären „Dr. Jazz“, das ebenfalls 1968 eröffnet worden war, und gastierten auf allen Festivals, die in der Szene einen Namen haben, „wie in Brüssel vor 7000 Zuschauern“. Als die sieben Düsseldorf­er 1977 in der damaligen Ruhrlandha­lle in Bochum spielten, teilten sie die Garderobe mit Silvio Francesco, Bruder der berühmten Catarina Valente. „Der hätte am liebsten mit seiner Klarinette bei uns mitgespiel­t, gefragt waren aber nur seine Songs aus der Schlagerpa­rade.“

Ihre Musik hat der Band schon oft Flügel verliehen. Zum 25. Geburtstag 1993 reiste sie 3000 Meilen zu den Wurzeln des Dixieland-Jazz: nach New Orleans. Nach 19 Auftritten an zehn Tagen feierte die Presse die Boys aus Übersee als „hottest und funniest jazz band in Germany“. Das ging runter wie ein guter Bourbon. Überhaupt hat diese Stadt, in der tausende Musiker die Tradition des Jazz lebendig halten, in der Trübsal angeblich mit einem Trompetens­toß vertrieben wird, „total beflügelnd auf uns gewirkt“. Was die Botschafte­r des guten Tons dort spielten, ist noch heute zu hören – die Livemitsch­nitte von diesen Abenden wurden später auf vier CDs konservier­t.

Zum 35. Jubiläum ging die Band wieder auf Reisen, flog über Madrid und Lissabon auf die Azoreninse­l Terceira zu einem internatio­nalen Musikfesti­val. „Dort spielten 100 Musikgrupp­en aus aller Welt, wir waren die einzige aus Deutschlan­d. Außer den Scorpions. Die traten im Stadion auf und wir auf der Bühne davor.“Auch die Glückwünsc­he zum 40. Geburtstag waren vielsprach­ig, da spielte das „Jolly Jazz Orchestra“beim City-Fest in Vervier in Belgien. Und der 50. im kommenden Sommer? Da geben sie ein Heimspiel während der Jazz-Rallye an einem ihrer liebsten Orte: vor dem „Uerige“in der Düsseldorf­er Altstadt. Und dazu wird dann ihre neue CD erscheinen: „Die ersten 50 Jahre“.

Und wie geht’s dann weiter? „Es ist schade, dass es in der einstigen Jazz-Metropole Düsseldorf heute nur noch wenige Auftritts-Möglichkei­ten gibt.“Denkt er jetzt, wo die meisten Bandmitgli­eder die 70 überschrit­ten haben, manchmal ans Aufhören? Freddy Schauwecke­r schaut einen Moment, als habe man einen wirklich schlechten Witz gemacht. Dann lächelt er verschmitz­t. Auch eine Antwort.

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Die Band im Jahr 1973: Damals war Düsseldorf noch eine Jazz-Metropole. Das hat sich inzwischen geändert.
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FOTOS: INGO BUERFEIND/ PICASA An drei Abenden spielte die Band 2004 mit Udo Lindenberg vor mehr als 100.000 Zuschauern in der Esprit-Arena.

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