Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
SERGEJ NETSCHAJEW
„Russland hat mit dem Fall Skripal nichts zu tun“
Wie es offiziellen Erklärungen zu entnehmen ist, die nach der Entscheidung über die Ausweisung russischer Diplomaten aus Deutschland folgten, wird Russland vorgeworfen, zu einer Zusammenarbeit im Fall Skripal nicht bereit zu sein. Wir werden aufgefordert, unserer Verantwortung gerecht zu werden, eine konstruktive Rolle einzunehmen und unserer Aufklärungspflicht nachzukommen. Diese Erklärungen zeugen entweder von einer unzureichenden Informiertheit oder von Voreingenommenheit. Die russische Position dazu wurde mehrmals auf allen möglichen Ebenen dargelegt. Seit Anbeginn behaupten wir, dass Russland nichts mit dem Vorfall in Salisbury zu tun hat, und dass wir nicht einmal ein hypothetisches Motiv hatten, ein derartiges Verbrechen zu verüben.
Wir werden uns für den Einsatz mit einem Giftstoff in Salisbury nicht schuldig bekennen, da wir einen solchen nicht begangen haben. Es ist aussichtslos, mit uns eine Sprache der Ultimaten zu sprechen. Es wird auch nicht in Ordnung sein, wenn die Ermittlungsergebnisse an das Urteil angepasst werden, das die Briten zufriedenstellt und das sie bereits verkündet haben.
Ich werde keinen Hehl daraus machen, dass uns die Haltung von jenen unserer Partner verwundert und enttäuscht, die sich voll auf die Aussagen Londons verlassen, anstatt zu einer sorgfältigen Untersuchung gemeinsam mit Russland beizutragen. Schlüsse über die angebliche Verantwortung Russlands wurden im Fall Skripal ohne Einsicht in die Ermittlungsakten gezogen, mit Hinweis ausschließlich auf fremde Stellungnahmen und Mutmaßungen sowie auf heikle Formulierungen wie „höchstwahrscheinlich“und „es gibt keine andere plausible Erklärung“. Das ist ein Novum im völkerrechtlichen und juristischen Sinne sowie in der Verhaltensweise unserer europäischen Partner, die sich früher immer zum Primat des Rechts bekannt haben.
Viele Experten, darunter in Deutschland, wurden bereits darauf aufmerksam, dass der Skandal durchaus der Regierung von Theresa May in die Hände spielte, die bis vor Kurzem schwerwiegende inner- politische Schwierigkeiten erlebte, unter anderem im Kontext des Brexits. Im Fall Skripal bot sich den britischen Behörden die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von den inneren Problemen abzulenken, sich die Solidarität internationaler Partner zu sichern, Rankings der regierenden Partei zu erhöhen und einen „Kreuzzug“gegen unser Land kurz vor der Präsidentenwahl und der Fußball-WM anzuführen, die seinerzeit an Russland und nicht Großbritannien vergeben wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten wir, dass es Russland im Fall Skripal mit einer frechen, grob fabrizierten antirussischen Provokation zu tun hat. Der Autor (64) ist seit Anfang des Jahres russischer Botschafter in Berlin.