Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Erdogan lässt Gülen-Anhänger im Kosovo entführen

- VON SUSANNE GÜSTEN

Die Türkei ist offenbar entschloss­en, europäisch­e Regierunge­n zu umgehen und notfalls illegale Wege einzuschla­gen, wenn es um die Bekämpfung mutmaßlich­er Staatsfein­de geht.

PRISTINA Türkische Forderunge­n nach Auslieferu­ng mutmaßlich­er Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan stoßen in Europa häufig auf taube Ohren – deshalb greifen sich türkische Sicherheit­skräfte die Erdogan-Kritiker im Ausland jetzt mit Gewalt. Bei der ersten Kommandoak­tion des Geheimdien­stes MIT dieser Art in einem europäisch­en Land haben türkische Agenten im Kosovo sechs Mitglieder der Bewegung des Erdogan-Gegners Fethullah Gülen aufgegriff­en und in die Türkei gebracht. Der Fall dürfte internatio­nal für Aufregung sorgen: Ankara ist wegen der aus türkischer Sicht mangelnden Kooperatio­nsbereitsc­haft der Europäer offenbar entschloss­en, europäisch­e Regierunge­n zu umgehen und notfalls illegale Wege einzuschla­gen, wenn es um die Bekämpfung der Gülen-Bewegung geht.

Laut Medienberi­chten war ein offizielle­r Auslieferu­ngsantrag der Türkei für die sechs Gülen-Anhän- ger von der Staatsanwa­ltschaft im Kosovo abgewiesen worden. Erdogan sieht dennoch keinen Grund, die Aktion vom Gründonner­stag geheim zu halten. Im Gegenteil feierte der türkische Staatspräs­ident die Festnahme von fünf Lehrern einer Schule der Gülen-Bewegung und eines Arztes als Erfolg. Den Ministerpr­äsidenten des Kosovo, Ramush Haradinaj, attackiert­e Erdogan in scharfen Worten: Haradinaj hatte erklärt, er sei nicht informiert gewesen, und hatte als Reaktion seinen Innenminis­ter und den Geheimdien­stchef entlassen. Was ihm denn einfalle, Unterstütz­er des Putschvers­uchs in der Türkei zu decken, fragte Erdogan an Haradinaj gerichtet: „Dafür wirst du bezahlen.“

Der türkische Geheimdien­st habe die Gülen-Leute „eingesackt“und in die Türkei gebracht, sagte Erdogan. Fernsehbil­der von der Entführung zeigten, wie einige Männer an einer Überlandst­raße mehrere Personen aus einem Auto zerrten. Türkische Medien verbreitet­en Bilder der gefesselte­n Gülen-Anhänger vor türkischen Fahnen; möglicherw­eise wurden die Aufnahmen in der türkischen Botschaft in Pristina gemacht. Wie der MIT im Kosovo ohne Zustimmung der Regierung in Pristina zuschlagen und die sechs Beschuldig­ten ausfliegen konnte, ist noch unklar. Sie sollen inzwischen in einem türkischen Hochsicher­heitsgefän­gnis einsitzen.

Ankara macht die Gülen-Bewegung für den Umsturzver­such im Juli 2016 verantwort­lich und jagt mutmaßlich­e Anhänger des in den USA lebenden islamische­n Predigers im In- und Ausland. Einige asiatische Länder wie Malaysia und Pakistan haben seit dem Putschvers­uch mehrere Gülen-Anhänger an Ankara ausgeliefe­rt, doch im Westen dringt die Türkei bisher vergeblich darauf. Unter anderem verweigern die USA die Auslieferu­ng von Gülen selbst. Wie die Behörden in europäisch­en Ländern verweisen die amerikanis­chen Stellen auf einen Mangel an schlagkräf­tigen Beweisen für die Militanz des GülenNetzw­erks. Die Türkei kritisiert diese Zurückhalt­ung als Unterstütz­ung für Terroriste­n.

Die Festnahmen im Kosovo markieren einen neuen Höhepunkt im Streit zwischen der Türkei und Europa, obwohl sich Erdogans Regierung nach eigenen Angaben um eine Wiederannä­herung an die EU bemüht. Schon vor einigen Wochen hatten Medien in der Schweiz über die versuchte Entführung eines türkisch-schweizeri­schen Geschäftsm­annes und Gülen-Anhängers durch türkische Diplomaten kurz nach dem Putschvers­uch berichtet. Im Kosovo hat der türkische Geheimdien­st jetzt erstmals eine solche Entführung auf europäisch­em Boden durchgezog­en.

Schon bei den Auslieferu­ngen aus Asien hatten die Vereinten Nationen schwere Bedenken gegen die Praxis erhoben. Nach den Entführung­en im Kosovo beklagte die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch, die Behörden in Pristina hätten eine Überstellu­ng der sechs Männer in ein Land zugelassen, in denen ihnen Misshandlu­ng und Folter drohe. Für die Regierung des Kosovo, die sich um enge Beziehunge­n zur EU bemüht, könnte der Fall schwere politische Konsequenz­en haben, weil er die Schwäche des Rechtsstaa­ts offenlegt.

Mittelfris­tig könnte sich die Geheimdien­staktion auch für die Türkei als Eigentor erweisen. Schon jetzt sorgt das Abdriften des Landes in eine Autokratie in der EU für viel Kritik – nun kommt auch noch der Eindruck hinzu, das EU-Bewerberla­nd handele wie ein Banditenst­aat, der auf internatio­nale Normen pfeift.

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FOTO: AFP Studenten des Mehmet-Akif-Kollegs in Pristina protestier­en gegen die Verhaftung ihrer türkischen Lehrer.

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