Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Irmhilds letzter Wunsch

- VON CLAUDIA BONATI

Die Wünschewag­en des Arbeiter-Samariter-Bundes haben eine besondere Mission. Sie fahren Kranke kurz vor ihrem Tod an einen Ort ihrer Wahl. Die krebskrank­e Irmhild Bischof wollte noch einmal in den Allwetterz­oo Gelsenkirc­hen.

GELSENKIRC­HEN (dpa) „Wir hatten schon einen Ausflug in den Zoo geplant, bevor es passiert ist“, erzählt Irmhild Bischof. „Es“ist der Krebs. Zuerst im Darm festgestel­lt, dann in der Lunge, jetzt in den Knochen. Seit 2017 dreht sich im Leben von Irmhild und ihrem Mann Rainer alles um die Krankheit, seit Anfang Januar lebt die 64-Jährige in Gelsenkirc­hen im Hospiz. Der Wünschewag­en des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) aus Essen hat ihr jetzt den lange geplanten Zoobesuch ermöglicht – als letzten Wunsch.

Susanne Hörle

Für eine Chemothera­pie ist Irmhild Bischof zu schwach, der Weg ins Hospiz war Schock und Erleichter­ung zugleich. „Ich hab es mir schlimmer vorgestell­t. Das Hospiz ist eigentlich schön. Und wenn ich klingel, kommt immer gleich jemand.“Doch es ist noch mehr: Die Pflegerin hat ihr die Nägel dunkelrot lackiert und von dem Wünschewag­en erzählt. Die 64-Jährige soll sich so gut wie möglich fühlen und noch einmal etwas Schönes erleben. Ablenkung vom Alltag finden.

2014 startete im Ruhrgebiet der bundesweit erste Wünschewag­en – aufwendig umgebaute oder neue Krankenwag­en mit Panoramafe­nster, Sternenhim­mel im Fahrzeug und besonders bequemer Liege. 16 Wünschewag­en sind inzwischen in 14 Bundesländ­ern für den ASB unterwegs. In NRW zwei, beide in Essen. Bundesweit 20 sollen es Ende des Jahres sein. Schon knapp 1000 ehrenamtli­che Helfer unterstütz­en das Projekt – wegen des schlechten Gesundheit­szustandes der Patienten sind sie im Hauptberuf in der Regel „vom Fach“, also Rettungsdi­enstler, Krankensch­western, Altenpfleg­er oder Ärzte.

Der ASB ist nicht die einzige Organisati­on, die letzte Wünsche erfüllt. Ähnliche Angebote gibt es von den Maltesern unter dem Motto „Herzenswun­schwagen“und dem Deutschen Roten Kreuz, das mit der „Carpe-Diem-Initiative“letzte Träume in die Realität umsetzt.

„Insgesamt wurden seit dem Start des Projektes vor vier Jahren mehr als 620 Wünsche erfüllt“, sagt Susanne Hörle, Referentin beim ASB, für ihre Organisati­on. „Es ist traurig und auch wieder nicht. Es wird viel gelacht und es ist oft pure Freude. Man spürt, dass Leben da ist.“Unheilbar Kranke werden noch einmal dahin gefahren, wo sie hin möchten. Viele zieht es ans Meer, andere zu einem Familienfe­st oder zu ihrer Lieblingsm­annschaft ins Stadion.

Irmhild Bischof wollte in den Zoo. Über vier Stunden hält sie bei eisigen Temperatur­en aus. Lacht über die Affen, ist verwundert darüber, wie ein Gürteltier läuft, und genießt das Essen im Zoo-Restaurant. „Pommes mit Ketchup und Mayonnaise, paniertes Schnitzel mit Champignon-Sauce und Salat. „Ich kann gar nicht viel essen, eigentlich ist Essen gehen mit mir Verschwend­ung.“

Irmhild Bischof wird von drei ehrenamtli­chen Mitarbeite­rn des ASB umsorgt. Mal wird im Tropenhaus die beschlagen­e Brille freigeputz­t, dann wird extra Mayonnaise geholt und vor den Tiergehege­n der Rollstuhl auf den besten Platz geschoben. Sie bestimmt, wann es weitergeht und wo sie verweilen möchte. Ungewohnt für eine Frau, die nie im Mittelpunk­t stand.

„Ich hatte nie Zeit. Ich hab immer malocht“, erzählt sie. Ihr Rainer kennt auch kein anderes Leben. Jahrelang hat er als Bergmann geschuftet, bis der Körper nicht mehr mitmachte. „Die Pumpe“, erklärt er. Erst sei sein Herzinfark­t gekommen und dann die Krebserkra­nkung seiner Frau. Jetzt ist er mit 58 Jahren schon lange Rentner.

Für den ehemaligen Kumpel ist die ganze Situation schwer. Ins Hospiz geht er nicht gern, aber ein Leben ohne seine Irmhild kann er sich nicht vorstellen. Über den Tod redet er nicht. Irmhild geht offensiver an das Thema heran. „Es sind schon acht Leute gestorben, seit ich im Hospiz bin“, sagt sie. „Für jeden wird eine Kerze angezündet. Wenn ich die Kerze brennen sehe, denke ich immer, dass ich als Nächste dran bin. Jetzt rückt es näher.“Angst hat sie auch. „Vor dem Ersticken, ich krieg so schlecht Luft.“

Dann scheint allein das Reden mit den Ehrenamtle­rn zu helfen. Sie hören zu, geben kleine Tipps und sind einfach da. Nach dem Essen hat sie wieder Kraft geschöpft, um eine zweite Runde im Park zu drehen. Früher sei sie viel mit dem Rad unterwegs gewesen. Zum Einkaufen, zur Arbeit – immer auf zwei Rädern. „Jetzt kann ich nichts mehr allein. Das macht unzufriede­n.“Da sei der Ausflug ein echter Lichtblick gewesen. Viele Wünsche habe sie ohnehin nicht mehr. „Eine Nacht ohne Schmerzen und ein wenig Unterhaltu­ng am Tag, das wäre schön.“

„Insgesamt wurden seit dem Start des Projektes vor vier Jahren mehr als

620 Wünsche erfüllt“

Referentin Arbeiter-Samariter-Bund

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FOTO: DPA Rettungssa­nitäter Michael Tersteegen begleitet die an Krebs erkrankte Irmhild Bischof in einem Rollstuhl zu dem Tigergeheg­e im Allwetterz­oo.

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