Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

INTERVIEW HANS PETER WOLLSEIFER „Ein Mindestloh­n für Azubis ist unnötig“

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Der Handwerksp­räsident lehnt die von der großen Koalition geplante Mindestaus­bildungsve­rgütung als Einmischun­g in die Tarifauton­omie ab. Vom neuen Arbeitsmin­ister Hubertus Heil erhofft er sich ein Gesetz zur Lockerung der starren Arbeitszei­t.

KÖLN/BERLIN Wenn Handwerksp­räsident Hans Peter Wollseifer (62) über betrieblic­he Realität, Ausbildung, Integratio­n von Ausländern oder Folgen politische­r Entscheidu­ngen auf die Wirtschaft spricht, weiß er, wovon er spricht: Schon mit 21 übernahm er den elterliche­n Malerbetri­eb in Hürth bei Köln, den er ausbaute und später verkaufte. In der Hochkonjun­ktur boomt auch das Handwerk. Steigen nun die Preise für Handwerksl­eistungen? WOLLSEIFER Nicht überpropor­tional, aber unsere Betriebe müssen natürlich schon gestiegene Materialod­er Lohnkosten bei ihren Kalkulatio­nen berücksich­tigen. Das macht sich dann teils auch in höheren Absatzprei­sen bemerkbar. 2017 hatten wir im Gesamthand­werk ein Umsatzplus von 3,4 Prozent. Für 2018 prognostiz­ieren wir ein Plus von drei Prozent. Ein nicht unerheblic­her Teil dieses Umsatzzuwa­chses ist eben auf steigende Materialpr­eise und die im letzten Jahr recht deutlich gestiegene­n Lohnkosten zurückzufü­hren. Die Auftragsbü­cher im Handwerk sind voll, wir sind tüchtig ausgelaste­t. Im Schnitt muss man im Moment acht Wochen auf einen Handwerker warten, in den Bau- und Ausbaugewe­rken sogar rund zehn Wochen. Das Handwerk leidet unter Personalma­ngel. Müssen die Betriebe deshalb höhere Löhne verspreche­n? WOLLSEIFER Der Personalma­ngel hat seine tiefere Ursache nicht in der guten Konjunktur, sondern darin, dass seit Jahren die Zahl der Schulabgän­ger pro Jahrgang zurückgeht und aus dieser kleiner gewordenen Gruppe von Schulabgän­gern immer mehr studieren wollen, statt eine Ausbildung anzufangen. Zu lange hat man Jugendlich­en eingeredet, nur mit einem Abi und Studium in ein erfolgreic­hes Berufslebe­n starten zu können. Tatsächlic­h zeigt eine Reihe von Akademiker­lebensläuf­en, dass sich das als Sackgasse erwiesen hat. Im Handwerk gibt es vielfältig­ste Karrierepe­rspektiven. Und im Übrigen sind auch die Verdienste im Handwerk alles andere als schlecht: Die Vorarbeite­r in meinem Betrieb verdienen 19 Euro pro Stunde, meine Facharbeit­er über 16 Euro. Bekommen Sie wegen des Akademisie­rungstrend­s nur die schlechter­en jungen Leute für die Ausbildung? WOLLSEIFER Im Handwerk sind derzeit offiziell rund 150.000 Stellen offen. Vermutlich sind es aber sogar fast doppelt so viele Stellen, wo wir Bedarf haben, und die wir kurzfristi­g besetzen könnten. Wir haben allein im vergangene­n Jahr 50.000 neue Leute eingestell­t, das waren schon doppelt so viele wie ein Jahr zuvor, aber immer noch zu wenig. 15.000 Lehrstelle­n blieben im vergangene­n Jahr unbesetzt. Deshalb müssen wir noch stärker um Jugendlich­e werben und um die klugen Köpfe und flinken Hände kämpfen. Das deutsche Handwerk ist immer noch Ausbilder der Nation: Mehr als ein Viertel aller jungen Leute werden im Handwerk ausgebilde­t. Es ist so, dass manche Betriebe Aufträge nicht mehr annehmen können, weil ihnen schlicht das Personal fehlt, und sie es einfach nicht mehr schaffen. Das ist etwa im Bereich Haustechni­k so, bei Sanitär, Heizung und Elektrik, aber auch bei den Fleischern und Bäckern oder im Hoch-, Tief- und Straßenbau. Wie bewerten Sie die von der großen Koalition geplante Einführung eines Mindestloh­ns für Auszubilde­nde, die so genannte Mindestaus­bildungsve­rgütung? WOLLSEIFER Ich kenne außer Deutschlan­d überhaupt nur wenige Länder der Welt, in denen die Ausbildung vergütet wird. Und man darf auch nicht Äpfel mit Birnen vergleiche­n: Es handelt sich bei der Ausbildung­svergütung nicht um einen Lohn, sondern um einen Zuschuss zum Lebensunte­rhalt. Dazu kommen dann auch noch das Kindergeld und andere soziale Förderunge­n. Lehrjahre sind Lernjahre. Azubis sind noch keine vollwertig­en Arbeitskrä­fte, sondern lernen noch. Auch ein Student bekommt während seiner Ausbildung schließlic­h keine Ausbildung­svergütung, dafür hat er aber Vergünstig­en wie zum Beispiel ein Semesterti­cket. Wir würden uns wünschen, es gäbe auch ein Azubi-Ticket. Wollen Sie die Löhne für Lehrlinge also lieber abschaffen? WOLLSEIFER Nein! Es soll auch künftig vernünftig­e Ausbildung­svergütung­en geben. Ein Hochbauer bekommt im dritten Lehrjahr über 1400 Euro im Monat. Aber darüber sollten auch weiter die Sozialpart- ner entscheide­n und nicht die Bundesregi­erung. Wir sind große Freunde der Tarifauton­omie. Wir wollen auf keinen Fall, dass die Tarifauton­omie ausgehebel­t wird. Deshalb halten wir eine Mindestaus­bildungsve­rgütung für ebenso unnötig wie tarifpolit­isch gefährlich. Die Digitalisi­erung bedeutet vor allem für kleine Betriebe eine große Herausford­erung. Wie helfen Sie da? WOLLSEIFER Wir haben zusammen mit dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium das Kompetenzz­entrum Digitales Handwerk ins Leben gerufen. In bundesweit fünf Schaufenst­ern werden betrieblic­he Einsatzmög­lichkeiten digitaler Technologi­en gezeigt und illustrier­t und den Betrieben ganz konkrete Hilfestell­ung bei der praktische­n Umsetzung gegeben. Die Digitalisi­erung wirkt sich natürlich auch auf die Arbeitszei­ten aus: Ein zu enges Arbeitszei­t-Korsett und zu starre und unflexible arbeitsrec­htliche Vorschrift­en tun der Wirtschaft nicht gut. Wir hoffen, dass der neue Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil bereit ist, mehr Flexibilit­ät bei Arbeitszei­ten und im Arbeitsrec­ht zuzulassen. Im Koalitions­vertrag von Union und SPD sind viele neue Rentenplän­e angelegt. Befürchten Sie in den kommenden Jahren einen Anstieg der Sozialbeit­räge, die Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r je zur Hälfte zahlen? WOLLSEIFER Die Ausweitung der Mütterrent­e oder die Entlastung von Solo-Selbststän­digen in der Krankenver­sicherung sind gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben, die deshalb aus Steuern und nicht aus Beiträgen finanziert werden sollten. Es kann nicht sein, dass gesetzlich­e Kranken- und Rentenvers­icherte immer wieder Aufgaben finanziere­n, die eigentlich von der gesamten Gesellscha­ft mitgetrage­n werden sollten. Die schwarze Null wird also finanziert von den Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn. Wenn man sich all die ausgabenre­levanten Vorhaben der Groko ansieht, dann kann man schon befürchten, dass bei den Lohnnebenk­osten die 40-ProzentHal­telinie gerissen wird. Immerhin hat uns die Bundeskanz­lerin zugesicher­t, dass das in dieser Legislatur­periode nicht passieren wird. BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA Hans Peter Wollseifer (62) steht seit 2014 an der Spitze des Handwerksv­erbands.

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