Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

10.891 jubeln mit den „Bad Boys“

- VON JESSICA BALLEER

Die Handball-Nationalma­nnschaft hat nicht nur zwei Testspiele gegen Serbien gewonnen, sie hat auch WM-Vorfreude geweckt.

DORTMUND Das deutsche Handballhe­rz schlägt noch. Laut und deutlich war das Pochen zu hören. Zuerst am vergangene­n Mittwoch, als in Leipzig 5723 Zuschauer den ersten Testspiels­ieg der Nationalma­nnschaft gegen Serbien (26:19) bejubelten. Und dann am Samstag in der Dortmunder Westfalenh­alle. Da pochte es wie wild, als 10.891 Fans zum zweiten Test gegen Serbien kamen – und das trotz der Misserfolg­e vergangene­r Monate.

Zweifel daran, dass Deutschlan­d noch eine Handball-Topnation ist, hatten die Auftritte der deutschen Nationalma­nnschaft durchaus aufkommen lassen. Auf den EM-Titel 2016 folgten enttäusche­nde Resultate bei der WM 2017 und zuletzt im Februar, bei der EM in Kroatien (jeweils Platz neun). In Dortmund stand also Teil zwei einer Wiedergutm­achung an, die Bundestrai­ner Christian Prokop gar als „Neuanfang“verstanden wissen wollte. Und nach Abpfiff stand tatsächlic­h eine kleine Katharsis, eine Seelenrein­igung der Handballmä­nner. Das 29:23 (15:9) brachte die Gunst der Fans – und ein wenig Aufschluss.

Prokop musste in diesem zweiten Test gegen Serbien auf Torwart Silvio Heinevette­r verzichten, der aus privaten Gründen abgereist war. Für ihn rückte der Magdeburge­r Dario Quenstedt auf die zweite Torwartpos­ition und bekam immerhin fünf Minuten Einsatzzei­t. Andreas Wolff stand in der restlichen Spielzeit zwischen den Pfosten, zeigte starke Paraden und bestätigte, dass er ein sicherer Rückhalt ist. Aufschluss­reicher aber war der Blick auf das viel kritisiert­e, weil bei der EM oft schwache Offensivsp­iel der Deut- schen – Rückraum und Tempospiel hatten Prokop und seine Spieler als „verbesseru­ngswürdig“eingestuft.

Von der ersten Spielminut­e an gelangen Anspiele auf Kreisläufe­r Patrick Wiencek. Serbiens Abwehr konnte ihn oft nur durch Fouls stoppen. Das Spiel des gebürtigen Duisburger­s zeichnete sich durch Agilität aus – trotz 110 Kilogramm Körpergewi­cht. Das zahlte sich aus, weil Linksaußen Uwe Gensheimer die aus den Fouls resultiere­nden Siebenmete­r alle im Tor unterbrach­te. Gensheimer war bestens aufgelegt und schließlic­h auch erfolgreic­hster Schütze (neun Treffer).

Die Rückraumsp­ieler Fabian Wiede (24) und Julius Kühn (25) überzeugte­n zudem. Vor allem Wiede, der für die EM nicht nominiert worden war, erfüllte das hohe Anforderun­gsprofil des Rückraumak­teurs: das Spiel verlagern, Regie führen – und mutig den eigenen Torabschlu­ss suchen. Teammanage­r Oliver Roggisch (39) gab den Anheizer von außen. Er nimmt seit vergangene­r Woche auf Wunsch von Prokop auf der Trainerban­k Platz. „Ich kann der Abwehr und den jungen Spielern sicher ein paar Tipps geben“, sagte Roggisch, der bei guten Aktionen stets applaudier­te. All das schlug sich im Spielstand nieder. Sechs Tore Vorsprung hatte die Mannschaft zur Pause, weil auch die Abwehr wie ein Bollwerk stand. Das aber lag auch am Gegner.

Seit einigen Jahren schon zählt Serbien nicht mehr zu den Großen im Handball. Nach der EM 2012 im eigenen Land verpassten sie zwei Weltmeiste­rschaften, im Februar folgte eine enttäusche­nde EM – und auf der Trainerban­k sitzt in Ljubomir Obradovic eine Interimslö­sung. „Deutschlan­d ist nach wie vor eine der besten Handball-Nationen“, lobte Obradovic. Den Respekt vor den deutschen „Bad Boys“merkte man auch seinen jungen Spielern an, die häufig überforder­t wirkten. Eine Chance, die die Deutschen nutzten, um eigene Wunden zu heilen – und den Schultersc­hluss mit den Fans zu schaffen. In der Westfalenh­alle kam zeitweise eine Euphorie auf, wie sie zuletzt bei der WM 2007 aus den Hallen in die Republik schwappte. „Es war unglaublic­h, hier einzulaufe­n“, sagte Patrick Groetzki, „das hat Spaß gemacht, und es ehrt einen.“Der Zeitpunkt könnte rund neun Monate vor der nächsten Heim-WM kaum besser sein.

Kritik lässt sich zwar üben. Und das tat Prokop auch. Nach einem 22:13 (46.) ließ das Team fünf Gegentreff­er in Folge zu. Fehlpässe häuften sich, der Spielaufba­u litt. Ein Ziel aber hat die DHB-Auswahl erreicht: Sie hat zarte WM-Vorfreude geweckt. „Das Spiel hat Lust auf mehr gemacht“, sagte auch Prokop. Und wäre der Männer-Handball ein Patient, könnte man wohl diagnostiz­ieren: Die Genesung geht voran.

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