Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Sieg wie eine Ohrfeige

- VON EVA QUADBECK VON LOTHAR SCHRÖDER DIE TOTEN HOSEN IN CHINA ZENSIERT, SEITE A 7

Keine der aktuell im Bundestag vertretene­n Parteien muss sich so große Sorgen um ihre Zukunft machen wie die SPD. Und was machen die Sozialdemo­kraten? Sie statten ihre neue Parteichef­in mit einem so schwachen Wahlergebn­is aus, dass es fast wie eine Niederlage wirkt. Ein Sieg wie eine Ohrfeige. Klug ist das nicht. Zumal die Vorstellun­g ihrer Gegnerin inhaltlich dünn war.

Nahles ist die erste Parteichef­in in der 155-jährigen Geschichte der Partei. Diesen historisch­en Moment vergeigen die Genossen. Aufbruch geht anders. Und der Begriff der Erneuerung ist von den Sozialdemo­kraten schon so überstrapa­ziert worden, dass er zur leeren Hülle verkommen ist.

Die SPD muss endlich damit aufhören, sich überwiegen­d mit sich selbst zu beschäftig­en. Nach drei Parteitage­n in fünf Monaten ist es wirklich an der Zeit, die aktuellen Herausford­erungen beispielsw­eise einer sich digitalisi­erenden Arbeitswel­t, des Pflegenots­tands und internatio­naler Krisen anzupacken. Dabei müssen Konzepte für die Zukunft entstehen. Sicher, Parteien brauchen lebendige und strittige Debatten. Sie sollten aber nicht wie bei der SPD zur Selbstzerf­leischung führen. Der aggressive Ton, in dem die Sozialdemo­kraten in sozialen Netzwerken zuletzt ihre Differenze­n über Nahles als künftige Vorsitzend­e ausgetrage­n haben, war unwürdig.

Die SPD hat nur eine Chance, sich als Volksparte­i zu berappeln, wenn sie sich zur Abwechslun­g mal wieder wie eine Volksparte­i aufführt. Sie muss ein breites Meinungssp­ektrum integriere­n und nicht wie eine politische Splittergr­uppe daran scheitern. Zudem müssen die Debatten von der Partei weg hin zu den konkreten Problemen im Land getragen werden. Die Parteiführ­ung hat diese Notwendigk­eit erkannt und will auch Nicht-Mitglieder einbinden. Dabei wird Nahles darauf achten müssen, die Partei in der Mitte der Gesellscha­ft zu halten. So wenig es den Unionspart­eien nutzt, die AfD zu kopieren, so wenig hilft es der SPD, den Linkspopul­isten nach dem Mund zu reden. Mit Hartz-IV abschaffen und Vermögenst­euer einführen wird die SPD jedenfalls nicht wieder Richtung 30 Prozent kommen.

Den Sozialdemo­kraten stehen 2018 und 2019 fünf risikoreic­he Landtagswa­hlen bevor: Bayern, wo sie auf die Opposition­srolle festgelegt sind. Hessen, wo wahrschein­lich Schwarz-Grün weitermach­en kann. Brandenbur­g, wo die AfD mit der SPD in Umfragen gleichauf liegt. Sachsen, wo die Partei um Zweistelli­gkeit kämpfen muss, und Mecklenbur­g-Vorpommern, wo AfD und NPD auf dem Vormarsch sind.

Nahles wichtigste­r Job ist es, den Bürgern zu vermitteln, dass die SPD Politik für ihre Bedürfniss­e macht. Alleine wird sie das nicht schaffen. Dafür braucht sie schon eine Partei, die hinter ihr steht. BERICHT DÄMPFER FÜR NEUE SPD-CHEFIN NAHLES, TITELSEITE

Singen trotz Zensur

Das hört sich jetzt wieder nach einem formidable­n Skandal an – die Zensur eines Auftritts der Toten Hosen in China! Verboten wurde ihnen, ein Lied über eine Straßensch­lacht in Berlin zu spielen. Verse über irgendeine­n Aufruhr mag man im Reich der Mitte eben nicht. So wäre es für Sänger Campino ein Leichtes gewesen, daraus eine große Nummer zu machen und auf Kunstfreih­eit in einem Land zu pochen, in dem nicht allein die Kunst unfrei ist. Stattdesse­n haben die Toten Hosen gespielt, für ihre Fans und für ihre Freiheit, das mit ihrer Musik zu sagen, was ihnen wichtig ist. Es gebe immer einen Subtext, hat Campino dazu gesagt.

Genau darin liegt ja der unerhörte Schatz von Kunst: in ihrer Unergründl­ichkeit. Zu allen Zeiten hat das Vieldeutig­e die Herrscher nervös gemacht. Ob der zensierte Auftritt auch was bringt? Vielleicht nicht sofort und vielleicht nicht mit der Wirkung, die sich manche erhoffen. Aber singen sollte man – wenn man an die Kunst glaubt – trotzdem. Wie damals Udo Lindenberg mit seinem Sonderzug nach Pankow. Auch dieses Lied wurde übrigens vor einer Mauer gesungen. BERICHT

Newspapers in German

Newspapers from Germany