Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Blutige Massenprot­este in Nicaragua

- VON TOBIAS KÄUFER

In dem mittelamer­ikanischen Land geht ein historisch­es Projekt zu Ende. Die Sandiniste­n um Staatspräs­ident Daniel Ortega haben die eigene Revolution verraten. Die Wut der Bevölkerun­g ist groß.

MANAGUA Es sind bizarre Bilder die über die nicaraguan­ischen Bildschirm­e flimmern, als „Kommandant Daniel“zum Monolog bittet. Kellner mit weißen Jacketts servieren Kaffee, der Tisch ist voller Blumen und Plätzchen. Dann setzt Präsident Daniel Ortega zu einem kleinen Exkurs an, der – zusammenge­fasst die Überschrif­t „Wisst ihr noch damals“– trägt. Damals, das waren die 80er Jahre, in denen sich die linke Sandinisti­sche Nationale Befreiungs­front an die Macht kämpfte – gegen das korrupte Somoza-Regime, das mithilfe der USA das eigene Volk knechtete. Die Sandiniste­n gewannen und hievten wenig später Daniel Ortega erstmals an die Spitze des mittelamer­ikanischen Landes. Es waren politisch romantisch­e Zeiten. Den Sandiniste­n flogen die Herzen der sich gründenden rotgrünen Friedensbe­wegung zu. Nicaragua wollte alles anders, besser machen. Und tatsächlic­h: Bis heute haben sich einige soziale Errungensc­haften gehalten.

Nach Wahlnieder­lagen 1990, 1996 und 2001 dann im Jahr 2006 das strahlende Comeback Ortegas mit dem zweiten Wahlsieg. Zwölf Jahre und mindestens zwei hochumstri­ttene Wahlen später, bei denen unter anderem die aussichtsr­eichsten Kandidaten der Opposition blockiert und der sandinisti­sche Chef der Wahlbehörd­e ein schwer reicher Mann wurde, ist aus dem sandinisti­schen Projekt selbst ein brutales Unterdrück­er-Regime geworden.

Es sind keine rechten Hardliner, die in der Hauptstadt Managua seit einigen Tagen auf die Straße gehen, wie die Regierung in ihren Staatssend­ern weismachen will. „Vampire, die Blut für ihre politische Agenda einfordern“, nennt Ortegas Frau und Vizepräsid­entin Rosario Murrilo die Demonstran­ten auf den Straßen. Ortega legt nach und spricht von Kräften, die das Bild Nicaraguas zerstören wollen. Doch es sind Kleinbauer­n, Studenten, Rentner und Arbeiter, die nicht mehr bereit sind, den Sandiniste­n zu folgen.

Die Gründe für den Zorn sind vielschich­tig. Vor ein paar Wochen ging das Bio-Reservat Indio Maiz in Flammen auf. „Eines der wichtigste­n Öko-Systeme des Landes, und die Regierung hat keine internatio­nale Hilfe in Anspruch genommen, um den Brand zu löschen“, sagt Gabriel Setright, einer der Studenten, die sich in der lokalen Umweltbewe­gung engagieren. Der Verdacht: Ortegas Clan hat das Feuer absichtlic­h brennen lassen, damit die Regierung Zugang zu neuem Land bekommt. Ortega als Komplize der Agrarindus­trie und Großgrundb­esitzer. Kann es für einen linken Poli- tiker einen schlimmere­n Vorwurf geben? Die Umweltschü­tzer sind ein tragender Bestandtei­l der aktuellen Proteste. Der zweite kommt aus der Mitte der Gesellscha­ft.

Vor Kurzem präsentier­te Ortega ein neues Rentenkonz­ept, auf das in dieser Form wohl nicht einmal neoliberal­e Republikan­er in den USA gekommen wären. Fünf Prozent weniger für die Rentner und deutlich höhere Beiträge der Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r, ließen die Ortegas wissen, habe das Volk zu tragen. Seitdem kocht die Volksseele.

Es gibt weitere Brandherde. Da sind die wenig transparen­ten Pläne zum 50-Milliarden-Projekt Nicaragua-Kanal, den die Ortegas mithilfe eines chinesisch­en Oligarchen durchsetze­n wollen – als Konkurrenz zum US-dominierte­n PanamaKana­l. Auch dort gibt es seit Jahren Proteste, die immer wieder brutal niedergesc­hlagen werden.

Bei der Kommunalwa­hl vor ein paar Monaten gab es nach offizielle­n Angaben einen klaren Sieg der Sandiniste­n. Die indigene Partei Yatama sah das anders, sprach von massivem Wahlbetrug und mobilisier­te die Straße: Mindestens 25 Menschen sind bisher bei Protesten ums Leben gekommen. Offiziell im Amt ist Ortega noch bis zu den Wahlen im November 2021. Die Anzeichen mehren sich, dass seine Zeit schon vorher zu Ende geht.

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FOTO: DPA | GRAFIK: C. SCHNETTLER Ein maskierter Demonstran­t läuft zwischen brennenden Barrikaden in Nicaraguas Hauptstadt Managua.

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