Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Herumdruck­sen um den Tod

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM FOTO: DAVID BALTZER

Die Uraufführu­ng von „Die größte Gemeinheit der Welt“im Jungen Schauspiel überzeugt vor allem mit ihrer Oberfläche.

„Die größte Gemeinheit der Welt“beginnt als Action-Spektakel. Zeitweise prügeln sich auf der Bühne des Jungen Schauspiel­s fünf Superhelde­n gleichzeit­ig: Riot Girl kämpft an der Seite von Captain Resistance gegen Doc Dark und seine bösen Gehilfen. Es knallt und faucht und zischt, Gelächter schallt durch den Raum. Die Kostüme sind fantasievo­ll und farbenfroh, die Choreograp­hien sitzen. Die Augen aller Kinder blicken gebannt. Zumindest für den ersten Teil der für ein Kinderstüc­k ungewöhnli­ch langen Strecke von zwei Stunden haben die Schauspiel­er die Aufmerksam­keit ihres Publikums mit Effekten erobert. Damit kaschieren sie, dass auf der Ebene der Geschichte nicht viel passiert. Das ist nicht der einzige Mangel dieser Uraufführu­ng.

Autor von „Die größte Gemeinheit der Welt“ist Dirk Laucke. Er zählt zu den wichtigen zeitgenöss­ischen deutschen Dramatiker­n, schreibt vor allem Erwachsene­nstücke, hat aber beim Grips-Theater Berlin auch Erfahrung mit Jugendstüc­ken gesammelt. Für sein erstes Kinderstüc­k ließ er sich nach eigener Aussage von seinem damals achtjährig­en Sohn beraten. Offenbar ist der großer Fan von Superhelde­n-Comics, denn die beherrsche­n das Stück, bei dem Christof SeegerZurm­ühlen Regie geführt hat, inhaltlich und ästhetisch: Die Hauptperso­n Tilla verwandelt sich in ihren Träumen in die Superheldi­n Riot Girl und stellt sich mutig allen Feinden entgegen. Auch im richtigen Leben lässt sie sich nicht gern etwas sagen und gibt sich gegenüber Eltern, Lehrern und Freunden frech und cool.

Doch auf ihrer Seele liegt ein Schatten: Vor kurzem ist ihr älterer Bruder David gestorben – und in ihrer Familie mit einer Nerv-Schwes- ter, Karriere-Mutter und einem Yoga-Vater will niemand wirklich darüber reden.

Um das Stück als erwachsene­r Zuschauer zu genießen, muss man ein Auge zudrücken und Irritation­en ertragen: Warum sprechen die Schauspiel­er, die auf der Bühne Grundschul­kinder darstellen sollen, in einer rudimentär­en Sprache wie Klischee-Ghetto-Jugendlich­e beziehungs­weise Mario Barth: „Ey, kennst du Internet?“Warum tragen sie Klamotten wie Anfang 20-jährige Hipster in Berlin-Friedrichs­hain? Warum stimmt Tilla erst Die Toten Hosen und dann die Antilopen Gang an – an welchen Teil des Düsseldorf­er Publikums will sich die Regie damit heranschme­ißen? Und träumen Kinder in Tillas Alter wirklich davon, auf die Messe Comic Con zu gehen – wie die Hauptperso­n des Stücks? In den USA viel- leicht. Eine kurze Pausenumfr­age in Düsseldorf-Rath hat ergeben: Sie wissen gar nicht, was das ist.

Blicken wir also auf den Kern der Geschichte, die Dirk Laucke erzählen will: Da geht es um den Tod. Irgendwie. Dass man dieses Thema Kindern sogar noch jüngeren Alters ruhig unverblümt und ganz poetisch ohne pädagogisc­hen oder moralische­n Zeigefinge­r zumuten kann, hat vor einiger Zeit ganz wunderbar der Düsseldorf­er Autor und Illustrato­r Martin Baltscheit mit seiner Geschichte „Nur 1 Tag“bewiesen. Laucke hingegen druckst mit seinem ganzen Stück um das Thema herum wie Tillas Eltern in ihrem überkonstr­uierten Frühstücks­dialog: Gespräche über den toten Bruder David ersticken sie im Keim, und auch der offenbar verstorben­e Eisverkäuf­er Gino ist bloß „umgezogen nach Totenhause­n“. Als Tillas jüngere Schwester Mimi ausbüxt und sich auf die Suche nach Totenhause­n begibt, geloben die Eltern zwar Besserung in der offenen Aufarbeitu­ng des Familiensc­hicksals – im Stück scheint aber kein Platz mehr dafür.

So gefallen vor allem die knallbonbo­nbunte Oberfläche – Bühne, Kostüme, Auftritte über ein Trampolin – und die coole Hauptdarst­ellerin Alessa Kordeck, deren mutige und freche Tilla bei den Kindern sehr gut ankommt.

 ??  ?? Bernhard Schmidt-Hackenberg, Alessa Kordeck, Maëlle Giovanetti und Jonathan Gyles (v.l.) in „Die größte Gemeinheit der Welt“. Das Stück des Dramatiker­s Dirk Laucke feierte nun im Jungen Schauspiel Uraufführu­ng.
Bernhard Schmidt-Hackenberg, Alessa Kordeck, Maëlle Giovanetti und Jonathan Gyles (v.l.) in „Die größte Gemeinheit der Welt“. Das Stück des Dramatiker­s Dirk Laucke feierte nun im Jungen Schauspiel Uraufführu­ng.

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