Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Herumdrucksen um den Tod
Die Uraufführung von „Die größte Gemeinheit der Welt“im Jungen Schauspiel überzeugt vor allem mit ihrer Oberfläche.
„Die größte Gemeinheit der Welt“beginnt als Action-Spektakel. Zeitweise prügeln sich auf der Bühne des Jungen Schauspiels fünf Superhelden gleichzeitig: Riot Girl kämpft an der Seite von Captain Resistance gegen Doc Dark und seine bösen Gehilfen. Es knallt und faucht und zischt, Gelächter schallt durch den Raum. Die Kostüme sind fantasievoll und farbenfroh, die Choreographien sitzen. Die Augen aller Kinder blicken gebannt. Zumindest für den ersten Teil der für ein Kinderstück ungewöhnlich langen Strecke von zwei Stunden haben die Schauspieler die Aufmerksamkeit ihres Publikums mit Effekten erobert. Damit kaschieren sie, dass auf der Ebene der Geschichte nicht viel passiert. Das ist nicht der einzige Mangel dieser Uraufführung.
Autor von „Die größte Gemeinheit der Welt“ist Dirk Laucke. Er zählt zu den wichtigen zeitgenössischen deutschen Dramatikern, schreibt vor allem Erwachsenenstücke, hat aber beim Grips-Theater Berlin auch Erfahrung mit Jugendstücken gesammelt. Für sein erstes Kinderstück ließ er sich nach eigener Aussage von seinem damals achtjährigen Sohn beraten. Offenbar ist der großer Fan von Superhelden-Comics, denn die beherrschen das Stück, bei dem Christof SeegerZurmühlen Regie geführt hat, inhaltlich und ästhetisch: Die Hauptperson Tilla verwandelt sich in ihren Träumen in die Superheldin Riot Girl und stellt sich mutig allen Feinden entgegen. Auch im richtigen Leben lässt sie sich nicht gern etwas sagen und gibt sich gegenüber Eltern, Lehrern und Freunden frech und cool.
Doch auf ihrer Seele liegt ein Schatten: Vor kurzem ist ihr älterer Bruder David gestorben – und in ihrer Familie mit einer Nerv-Schwes- ter, Karriere-Mutter und einem Yoga-Vater will niemand wirklich darüber reden.
Um das Stück als erwachsener Zuschauer zu genießen, muss man ein Auge zudrücken und Irritationen ertragen: Warum sprechen die Schauspieler, die auf der Bühne Grundschulkinder darstellen sollen, in einer rudimentären Sprache wie Klischee-Ghetto-Jugendliche beziehungsweise Mario Barth: „Ey, kennst du Internet?“Warum tragen sie Klamotten wie Anfang 20-jährige Hipster in Berlin-Friedrichshain? Warum stimmt Tilla erst Die Toten Hosen und dann die Antilopen Gang an – an welchen Teil des Düsseldorfer Publikums will sich die Regie damit heranschmeißen? Und träumen Kinder in Tillas Alter wirklich davon, auf die Messe Comic Con zu gehen – wie die Hauptperson des Stücks? In den USA viel- leicht. Eine kurze Pausenumfrage in Düsseldorf-Rath hat ergeben: Sie wissen gar nicht, was das ist.
Blicken wir also auf den Kern der Geschichte, die Dirk Laucke erzählen will: Da geht es um den Tod. Irgendwie. Dass man dieses Thema Kindern sogar noch jüngeren Alters ruhig unverblümt und ganz poetisch ohne pädagogischen oder moralischen Zeigefinger zumuten kann, hat vor einiger Zeit ganz wunderbar der Düsseldorfer Autor und Illustrator Martin Baltscheit mit seiner Geschichte „Nur 1 Tag“bewiesen. Laucke hingegen druckst mit seinem ganzen Stück um das Thema herum wie Tillas Eltern in ihrem überkonstruierten Frühstücksdialog: Gespräche über den toten Bruder David ersticken sie im Keim, und auch der offenbar verstorbene Eisverkäufer Gino ist bloß „umgezogen nach Totenhausen“. Als Tillas jüngere Schwester Mimi ausbüxt und sich auf die Suche nach Totenhausen begibt, geloben die Eltern zwar Besserung in der offenen Aufarbeitung des Familienschicksals – im Stück scheint aber kein Platz mehr dafür.
So gefallen vor allem die knallbonbonbunte Oberfläche – Bühne, Kostüme, Auftritte über ein Trampolin – und die coole Hauptdarstellerin Alessa Kordeck, deren mutige und freche Tilla bei den Kindern sehr gut ankommt.