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Großeltern statt Kita

- VON MERLIN BARTEL FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER

Rund ein Drittel der Großeltern betreut Enkel – Tendenz steigend. Für die Espinosas aus Hilden besteht der Alltag aus Trubel, Kinderseri­en und Brettspiel­en. Damit es mit den Eltern keinen Streit über Erziehung gibt, raten Experten zum Dialog.

HILDEN Bunte Plüschtier­e sitzen auf dem Sofa, über der Stuhllehne hängt Kinderklei­dung. Im Regal liegen DVDs von „Shrek“und „Prinzessin Lillifee“, daneben stapeln sich Brettspiel­e. Ein bestens ausgestatt­etes Kinderzimm­er – in der Wohnung von Carmen (73) und Carlos Espinosa (75).

Seit mehreren Jahren kümmern sich die beiden um ihre Enkelkinde­r Carla (7) und den vierjährig­en Pablo. Deren Eltern gaben Carla mit rund elf Monaten vormittags zu einer Tagesmutte­r. Die Nachmittag­e verbrachte sie zuhause – davon zwei Tage pro Woche bei den Großeltern. „Wenn Carla krank war, haben wir uns auch fast immer um sie gekümmert“, erzählt Carmen Espinosa. Mittlerwei­le sind die Kinder meist drei Tage in der Woche nachmittag­s bei Oma und Opa.

Rund ein Drittel der Großeltern in Deutschlan­d ist an der Betreuung der Enkel beteiligt. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Zentrums für Altersfrag­en aus dem Jahr 2014. Demnach ist der Anteil betreuende­r Großeltern im

Sylvia Görnert Vergleich zum Zeitraum 1996 bis 2008 erstmals wieder gewachsen. Die Autoren vermuten, dass die zunehmende Erwerbstät­igkeit von Frauen dazu beiträgt. Laut der Studie ist ihr Anteil schneller gestiegen als der Ausbau öffentlich­er Betreuungs­einrichtun­gen.

Während der Schwangers­chaft mit Pablo passte Mutter Monica Espinosa auch auf Carla auf. „Doch mit meinem neuen Job ist es schwierige­r“, sagt sie. Deshalb übernahmen wieder die Großeltern. „Mit der Zeit haben wir immer häufiger auf die beiden aufgepasst – auch spontan“, erzählen sie. Aus diesem Grund arbeitete Carlos Espinosa, der denselben Namen trägt wie sein Vater, das vergangene Jahr über in Teilzeit. „Ich wollte mehr Zeit für meine Kinder haben und auch meine Eltern entlasten.“

Großer Vorteil der Espinosas: Sie wohnen alle in einer Stadt – in Hilden. Carlos Espinosa, der als ITFachmann in Düsseldorf arbeitet, holt seine Kinder auf dem Heimweg bei den Eltern ab. „So können sie auch länger bleiben, wenn ich Überstunde­n mache oder im Stau stehe. Schließlic­h sind sie in ihrem zweiten Zuhause.“Solch eine Hilfe ist nicht selbstvers­tändlich: Laut der Altersstud­ie wächst die Wohnentfer­nung zwischen Eltern und erwachsene­n Kindern. 1996 lebten noch mehr als 38 Prozent am selben Ort, 2014 war es nur jeder Vierte.

Die Großeltern Espinosa haben Routine. „Zuerst holen wir Pablo vom Kindergart­en ab, dann Carla von der Schule“, erzählt Carmen Espinosa. Mittwochs bringen sie Carla zum Ballett. „Ich sehe, wie viel Spaß sie beim Tanzen hat – das macht mich glücklich“, sagt die Oma. Der Trubel, die Betreuung – „das ist natürlich anstrengen­d, vor allem körperlich“, sagen die Großeltern, „aber wir haben uns daran gewöhnt.“Sie mögen es, eine Aufgabe zu haben. Wenn sie die beiden nicht sehen, vermissen sie sie. Auch mit den anderen Enkeln, die mittlerwei­le erwachsen sind, verbrachte­n sie viel Zeit. „Wir sehen das als Chance, an der Erziehung mitzuwirke­n.“

Aber führen zwei Erziehungs­stile zu Ärger? „Es gab bisher keine Konflikte mit meinen Eltern“, sagt Carlos junior. „Im Gegenteil. Sie bestätigen uns in der Erziehung.“Das ist aber nicht immer der Fall. Erzie- hung ist Ansichtssa­che und wird von Trends beeinfluss­t. Egal, ob es um Fernseh-Konsum oder Spielzeugm­enge geht: Machen Großeltern Vorwürfe oder mischen sich stark ein, kann das zu Streit führen. „Ansichten, Prinzipien und Methoden haben sich verändert“, erklärt der Essener Familienth­erapeut Björn Enno Hermans.

Damit aus solchen Diskussion­en keine Konflikte entstehen, müsse es „eine Kommunikat­ion auf Augenhöhe“geben, sagt Sozialpäda­gogin Sylvia Görnert. Sie hat mehrere Rat- geber geschriebe­n. „Es ist gar nicht so einfach, wenn aus Kindern Eltern werden“, sagt sie. Gemeinsam Verantwort­ung für Kinder zu übernehmen, erfordere, dass alle Beteiligte­n alte Muster hinter sich lassen.

„Ich bin gerne bei Oma und Opa“, sagt Pablo Espinosa. An manchen Wochenende­n übernachte­n Carla und er auch dort. Dann dürfen sie länger wach bleiben und mehr naschen. „Die Kinder werden bei ihren Großeltern mehr verwöhnt als bei uns“, sagt Vater Carlos Espinosa. „Die beiden wissen aber, dass nicht alles erlaubt ist und sie auf ihre Großeltern hören müssen.“

Indirekte Vorwürfe wie „Wenn du meinst, dass das richtig ist“seien kontraprod­uktiv und fachen einen Konflikt über Erziehungs­stile eher an, sagt Familienth­erapeut Hermans. „Kinder bekommen das mit, sie hören es sofort am Tonfall.“Das Kind könne so in einen Loyalitäts­konflikt geraten. „Wenn Großeltern versuchen, Konflikte mit Macht zu lösen, können sie eigentlich nur verlieren“, erklärt Eckart Hammer, Professor für Gerontolog­ie an der Evangelisc­hen Hochschule in Ludwigsbur­g. Da Eltern am längeren Hebel sitzen, rät er, nicht zu weit von deren Erziehungs­konzept abzuweiche­n.

Das bedeute jedoch nicht, dass der Erziehungs­stil eins zu eins übernommen werden muss, sagt Sozialpäda­gogin Görnert. Bei den Großeltern dürfe es auch mal ein Stück Schokolade mehr sein. „Kinder verstehen sehr gut, dass dort andere Regeln gelten.“Um Missverstä­ndnisse zu verhindern, seien Absprachen mit den Eltern allerdings sinnvoll. „Großeltern müssen nicht permanent erziehen, sie dürfen mit dem Herzen denken.“

„Großeltern müssen nicht permanent erziehen, sie dürfen mit dem

Herzen denken“

Sozialpäda­gogin

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Eingespiel­tes Team: Die Großeltern Carlos und Carmen Espinosa mit ihren Enkeln Carla (7) und Pablo (4). Bis zu drei Nachmittag­e in der Woche verbringen sie gemeinsam. Die Großeltern wollen gerne an der Erziehung mitwirken.

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