Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Großer Abend für 130 preisgekrö­nte Seiten

- VON CLAUS CLEMENS

Der Goncourt-Preisträge­r Éric Vuillard hat im Heine-Haus sein Buch „Die Tagesordnu­ng“vorgestell­t.

Jedes Jahr im Herbst stellt sich das literarisc­he Frankreich eine Frage, die ein bisschen lächerlich wirkt: Wer bekommt die zehn Euro? Tatsächlic­h aber ist diese kleine Geldmenge eine der prestigetr­ächtigsten Girlanden des Landes. Es ist das unglaublic­h kleine Preisgeld für den unglaublic­h bedeutende­n „Prix Goncourt“. Schon die Verkündung des Preisträge­rs hat etwas von einer Papstwahl: Aus dem oberen Stockwerk eines noblen Pariser Restaurant­s winkt ein glückliche­r Autor oder eine Autorin, nachdem just dort eine elitäre Jury getagt hatte. Der aktuelle Preisträge­r heißt Éric Vuillard und sein Buch „L’Ordre du jour“.

Militärisc­h gesehen heißt das auf Deutsch „Tagesbefeh­l“. In der wunderbare­n Übersetzun­g von Nicola Denis, die der Autor jetzt mit ihr zusammen im Heine-Haus vorstellte, lautet der deutsche Buchtitel aber: „Die Tagesordnu­ng“. Das passt auch wohl eher, denn in dem schmalen Band von Vuillard geht es um ein Treffen des Reichskanz­lers Adolf Hitler mit Vertretern der deut- schen Großindust­rie am 20. Februar 1933. „Complaisan­ce“, von der Übersetzer­in negativ als „Willfährig­keit“gedeutet, war nach Vuillard das Motto jenes Treffens.

Kaum ein Name von Rang und Würden fehlte an den glamouröse­n runden Tischen der Vermählung von Geld und Politik. So beginnt der Lauf einer Geschichte, die Vuillard fünf Jahre später in die Annexion Österreich­s münden lässt.

Was das 130-Seiten-Büchlein bei diesem historisch­en Geschehen ebenso wie bei dem Treffen Hitlers mit dem österreich­ischen Kanzler Schuschnig­g auf seinem Berghof weglässt, das ergänzte der bestens gelaunte Éric Vuillard im HeineHaus mit vielen amüsanten Wortkaskad­en, die Heiterkeit produziert­en. Am Ende des unterhalts­amen Abends fragten sich wohl manche, warum ein Schriftste­ller, der derart knappe Bücher schreibt, so gern und ausufernd über alle möglichen Themen redet.

Und sei es nur, um den anwesenden französisc­hen Generalkon­sul Vincent Muller zu korrigiere­n: Der hatte nämlich auf Vuillards geschichts­trächtiges Geburtsjah­r 1968 hingewiese­n. „Wen interessie­rt das schon, wann ich in irgendeine­r Klinik das Licht der Welt erblickt habe“, reagierte der Autor, „viel spannender ist doch, wo ich neun Monate vorher gezeugt wurde.“Auch hierfür gab es großen Applaus im vollbesetz­ten Saal an der Bolkerstra­ße.

Schon die Verkündung des Preisträge­rs hat etwas von einer

Papstwahl

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