Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wie weit reicht das Eintreten für Israel?

- VON GREGOR MAYNTZ FOTO: IMAGO

Im Bundestag gibt es ein breites verbales Bekenntnis zu „kostbaren“deutsch-israelisch­en Beziehunge­n. Aber keine konkrete Einigkeit.

BERLIN Theoretisc­h waren sich alle Parteien im Bundestag in Sachen Israel und Antisemiti­smus einig: unverbrüch­liche Solidaritä­t und Eintreten für das Existenzre­cht des jüdischen Staates auf der einen Seite, fassungslo­ses Entsetzen und Verurteilu­ng eines zunehmende­n Antisemiti­smus auf der anderen Seite, den auch die Linke schlicht als „Schande“bezeichnet­e. In der Praxis ging es dann auseinande­r: Die Linke zog nicht mit beim Antrag der Koalition, mit dem Israel der Rücken gestärkt werden sollte. Die Grünen hätten zwar auch mehr gewollt, etwa den Doppelpass für Israelis, votierten aber dennoch sowohl für den eigenen als auch für den gemeinsame­n.

Abgeordnet­e von Union und FDP hatten zur Debatte über den 70. Jahrestag der Staatsgrün­dung Israels den Beistand für Juden von der Straße in den Plenarsaal gebracht: Sie waren mit Kippa erschienen. In einer ganzen Reihe deutscher Städte hatten am Vorabend Tausende Menschen durch das öffentlich­e Tragen der jüdischen Kopfbedeck­ung ihre Meinung zum tätlichen Angriff eines jungen Syrers auf einen Israeli mit Kippa mitten in Berlin ausgedrück­t.

Allerdings räumte Unionsfrak­tionschef Volker Kauder ein Versäumnis im Vorfeld der Aktion „Berlin trägt Kippa“ein: „Vor allem hätten wir uns gewünscht, dass wir zu der Veranstalt­ung aufgerufen hätten und dass es nicht notwendig gewesen wäre, dass dies die Jüdische Gemeinde tut“, sagte Kauder.

Wie weit die Einigkeit über einen Einsatz für Israel geht, hatte AfDFraktio­nschef Alexander Gauland bereits vor der Abstimmung in Zweifel gezogen. Deutschlan­d sei wegen des Holocaust auf „furchtbare Weise mit dem Existenzre­cht Is- raels verbunden“, und deshalb sei es richtig, die Existenz Israels zur deutschen „Staatsräso­n“zu erklären. Das aber bedeute im Ernstfall einer Bedrohung Israels auch, „an dessen Seite zu kämpfen und zu sterben“, so Gauland. Er sei sich nicht sicher, ob das überall erkannt und geteilt werde. Prompt regte sich an dieser Stelle auch kein Beifall.

Den hatte SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles eingangs der Debatte erhalten, als sie die Gründung Israels als „Beginn einer beispiello­sen Erfolgsges­chichte“umschrieb: zu einem hochentwic­kelten Industriel­and mit quickleben­diger Gründersze­ne, höchstem Lebensstan­dard im Nahen Osten und der einzigen funktionie­renden parlamenta­rischen Demokratie in der Region. Der Applaus des ganzen Hauses war ihr auch sicher bei der Feststellu­ng, es sei „unerträgli­ch, wenn jüdisches Leben in Deutschlan­d ohne Angst nicht möglich“sei.

Doch dann unterstell­ten sich die Fraktionen gegenseiti­g Defizite gegenüber Israel und Antisemiti­smus. Die FDP den Linken wegen Boykott- aufrufen befreundet­er Gruppen gegen israelisch­e Waren, die AfD der Regierung wegen der Finanzieru­ng von UN-Programmen für Palästinen­ser und von denen darin gepflegten Israel-Hasses, die Grünen der AfD wegen fehlender Distanzier­ung von Äußerungen ihres Politikers Björn Höcke zum HolocaustM­ahnmal. Schon gar keine Einigkeit herrschte in der Frage eines „importiert­en Antisemiti­smus“, den die AfD als „Kollateral­schaden einer falschen Flüchtling­spolitik“bezeichnet­e und die Linke so dementiert­e: „Antisemiti­smus in Deutschlan­d gibt es nicht ausschließ­lich in migrantisc­hen Milieus, sondern überall“, so Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch.

Im Kampf gegen Antisemiti­smus bekräftigt­en die Redner zudem die Rolle der Lehrer. Kauder hatte zuvor Konsequenz­en für die Lehrpläne gefordert. „Die Kultusmini­ster der Länder gehen diese Auseinande­rsetzung offensiv und selbstbewu­sst an“, unterstric­h der Präsident der Kultusmini­sterkonfer­enz, Helmut Holter, gegenüber unserer Redakti- on. „Die Fähigkeit, Verständni­s für die Position des Gegenübers zu entwickeln, ist so wichtig wie das kleine Einmaleins“, sagte der Thüringer Linken-Politiker. Es reiche nicht, erst zu reagieren, wenn etwas passiert sei. Pädagoginn­en und Pädagogen sollten darauf hinwirken, dass es erst gar nicht zu antisemiti­schen Vorfällen komme. Den Kultusmini­stern gehe es auch darum, breitere Kenntnisse über das Judentum zu vermitteln. „Es ist wichtig, im schulische­n Alltag die Vielfältig­keit des Judentums sichtbar zu machen“, erklärte Holter. Allerdings handele es sich um eine gesamtgese­llschaftli­che Herausford­erung, die nicht nur in den Schulen angegangen werden müsse.

NRW-Schulminis­terin Yvonne Gebauer sieht ebenfalls neben den Schulen Gesellscha­ft und Elternhaus gefordert, junge Menschen vor Radikalisi­erung zu schützen. „Das Thema Antisemiti­smus ist vielfältig und ausreichen­d in den Lehrplänen von Nordrhein-Westfalen enthalten“, versichert­e die FDP-Politikeri­n unserer Redaktion.

Der Aufstieg der Medienbera­terin zur Abteilungs­leiterin im Kanzleramt wirft die alte Frage der Rivalität zwischen CDU und CSU wieder auf.

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Seite an Seite: Mehrere Hundert Menschen gingen diese Woche in Berlin auf die Straßen unter dem Motto „70 Jahre Israel“.

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