Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Erich Reusch denkt immer groß

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Der 92-Jährige aus dem Umfeld der Zero-Gruppe lehrte einst an der Kunst-Akademie. Nun zeigt er in der Galerie Kellermann in Oberkassel Malerei, Zeichnunge­n und Skulpturen aus den vergangene­n 60 Jahren.

Die Ausstellun­g „Erich Reusch – Pionier im dezentrale­n Raum“in der Galerie Kellermann beleuchtet das Schaffen des ältesten noch lebenden Düsseldorf­er AkademiePr­ofessors. Über 15 Jahre hinweg, bis 1990, hatte er den Lehrstuhl „Integratio­n Bildende Kunst und Architektu­r“inne, seit 2010 ist er Ehrenmitgl­ied der Akademie. An seinem jetzigen Wohnort Neuenrade im Sauerland ist der 92-Jährige noch jeden Tag künstleris­ch aktiv. „Ungebroche­n“, bestätigt er, „wenn auch derzeit mit gebrochene­n Knochen.“Er geht an zwei Krücken, legt aber Wert darauf, dass nicht Gebrechlic­hkeit der Grund dafür ist: „Ein Fahrradunf­all“, teilt er mit. Wir begleiten ihn noch vor der Vernissage bei seinem ersten Rundgang durch die Ausstellun­g.

„Alles schön konzentrie­rt“, lobt er die Präsentati­on der Objekte. Sie umspannen 60 Jahre: Zeichnunge­n, Malerei, Skulpturen. Darunter auch ganz neue Werke. „Schade, dass meine Bilder aus den letzten 14 Tagen nicht mehr berücksich­tigt werden konnten“, bedauert er. „Mein Schaffen ist eine Lebensnotw­endigkeit für mich. Sobald ich abends aufhören muss, bin ich unglücklic­h. Wenn ich nicht schlafen kann, gehe ich auch nachts ins Atelier.“Und gewiss war er auch an jenem Morgen schon wieder dort, das verraten die weißen Farbklecks­e auf seinen Fingern. Seine Tochter hat ihn aus dem Sauerland in die Galerie nach Oberkassel chauffiert, wo er sich mit wachem Blick ausgesproc­hen erzählfreu­dig gibt. Wie schaut er zurück auf seine Zeit an der Akademie? „Mit den besten Erinnerung­en“, antwortet er. „Es waren gute Künstler mit einem erstrebens­werten Gesamtprog­ramm da, besonders unter dem ehemaligen Rektor Norbert Kricke.“Einen kleinen Seitenhieb kann er sich nicht verkneifen: „Er war ein starker Motor und befreite uns von dem Staub der Jahre unter Joseph Beuys. Zweifellos ein großer Künstler, aber sein Jugendherb­ergsbetrie­b hat mir nie geschmeckt.“

Reusch, geboren 1925 in Wittenberg, studierte Architektu­r und Bildhauere­i an der Hochschule der Künste in Berlin. Über berufliche Kontakte kam er 1953 nach Düsseldorf, „weil es in Berlin keinen Ziegenstal­l zu bauen gab.“Bis 1964 arbeitete er als freischaff­ender Archi- tekt, wandte sich dann der Bildhauere­i und Malerei zu und wurde 1975 an die Akademie berufen.

Sein ursprüngli­ches Metier aber hatte Spuren hinterlass­en. Erich Reusch machte die Kunst im öffentlich­en Raum zu einem seiner Schwerpunk­te. Er liebte Grenzgänge und suchte immer wieder die Verbindung zur Wissenscha­ft. Nicht selten, etwa bei der Entwicklun­g der leichteste­n Röhren der Welt für eine Skulptur, erwies er sich als Visionär. Einzigarti­g sind seine berühmten „elektrosta­tischen Objekte“, mit denen er Ende der 1960er Jahre begann und sie bis heute immer wieder herstellt. Damals kamen sie einer kleinen Revolution gleich - nie zuvor gab es eine solche Interaktio­n zwischen Werk und Betrachter. Auch die Ausstellun­g bei Kellermann zeigt einige davon: hohe transparen­te Säulen oder kleinere Kästen, an deren Böden Häufchen von schwarzen, elektrosta­tisch aufgeladen­en Pigmenten lagern. Durch Berührung und Reibung schweben sie durch ihr Gehäuse, ein fasziniere­ndes Schauspiel. Eine der monumental­sten Säulen steht im Lehmbruck-Museum Duisburg.

„Er hat immer groß gedacht“, sagt Galerist Kellermann und weist auf die rostbraune­n Modelle von Monumental-Skulpturen hin. „Eines seiner Anliegen war es, die Skulptur vom Sockel zu heben und damit neue Sichtweise­n zu ermögliche­n.“Für ihn ist Reusch eine lebende Legende. „Er gehört zum Umfeld der Zero-Gruppe. Deren Schaffen wurde zwar 1966 beendet, aber die Strömung und der Geist sind nicht tot.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Für Erich Reusch, den früheren Akademie-Professor, war es wichtig, die Skulptur vom Sockel zu holen.

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