Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Martin Winterkorn droht die Pleite

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Für den früheren VW-Chef kommt es nach der US-Anklage knüppeldic­k: Die Staatsanwa­ltschaft in Braunschwe­ig ermittelt weiter, der Konzern prüft teure Schadeners­atzklagen. Bei anderen Konzernen gab es dazu Kompromiss­e.

WOLFSBURG Nachdem die US-Justiz am Freitag Anklage gegen Ex-VWChef Martin Winterkorn erhob und auch einen Haftbefehl gegen ihn ausstellte, nimmt auch in Deutschlan­d der Druck gegen ihn massiv zu. So erwarten VW-Kenner, dass der Konzern eine Schadenser­satzklage gegen Winterkorn wegen der Milliarden­schäden durch die Abgasaffär­e alleine aus juristisch­en Gründen schwer vermeiden kann. „Das Unternehme­n ist verpflicht­et, Schadeners­atzansprüc­he wegen möglichen Fehlverhal­tens zu prüfen und dann auch einzuforde­rn“, sagt dazu der Düsseldorf­er Anwalt Julius Reiter, „entweder Winterkorn wusste von den Manipulati­onen – dann ist sowieso alles klar. Oder er wusste nicht davon. Dann könnte man ihn aber wenigstens wegen mangelnder interner Aufsicht zur Rechenscha­ft ziehen.“

Dabei wäre ein Schadenser­satzanspru­ch in Höhe von bis zu einer Milliarde Euro möglich, berichtet die „Frankfurte­r Allgemeine Sonntagsze­itung“(FAS). Das erscheint nicht unplausibe­l, weil die Abgasaffär­e VW weit mehr als 20 Milliarden Euro kostete und weil Winterkorn als langjährig­er Vorstandsc­hef alles andere als eine Nebenfigur ist.

Außerdem wäre bei Winterkorn auch einiges zu holen: Mehr als 100 Millionen Euro verdiente er im Laufe seiner jahrzehnte­langen Karriere im VW-Reich. Allein seine Pensionsan­sprüche belaufen sich auf knapp 30 Millionen Euro, geht aus dem Geschäftsb­ericht hervor. „Dieses Geld wäre im Extremfall komplett weg“, zitiert die FAS den Berliner Rechtsprof­essor Gregor Bachmann.

Der VW-Aufsichtsr­at ließ dazu am Wochenende erklären, er prüfe weiterhin, ob wegen der Dieselaffä­re von einzelnen Managern Schadeners­atz eingeforde­rt werden könne – es gäbe aber noch keine Entscheidu­ng und keine „Vorfestleg­ung“.

Ob Winterkorn im Fall des Falles wirklich die persönlich­e Pleite bevorsteht, ist abzuwarten. So könnte ihm nützen, dass er einen großen Teil seines Immobilien­vermögens in zwei gemeinsame Firmen mit seiner Ehefrau steckte. Wenn er also an VW Geld zahlen muss, müsste er vielleicht seinen Anteil an der Firma abgeben – doch seine allein haftende Ehefrau könnte nicht zur Liquidatio­n des Unternehme­ns gezwungen werden. Das mögliche Ergebnis: Winterkorn wäre zwar mittellos, Familie Winterkorn hätte weiter ihre schönen Villen.

Außerdem zeigt die Erfahrung, dass deutsche Konzerne bei Schadensat­zverfahren gegenüber früheren Vorstandsc­hefs Kompromiss­e anpeilen: Siemens einigte sich mit Ex-Vorstandsc­hef Heinrich von Pierer darauf, dass dieser fünf Millionen Euro an Kompensati­on für die Schmiergel­daffäre zahlte – dabei hatte der Konzern 2,5 Milliarden Euro für Strafzahlu­ngen, Steuernach­zahlungen und Anwälte ausgeben müssen. Die Telekom brachte ihren Ex-Chef Kai-Uwe Ricke dazu, 600.000 Euro wegen der „Spitzelaff­äre“zu zahlen – der Schaden war deutlich höher gewesen, gefordert hatte man eine Million Euro.

Dabei droht Winterkorn auch eine Anklage in Deutschlan­d: Die Ermittlung­en der Braunschwe­iger Staatsanwa­ltschaft gegen ihn und andere Beschuldig­te im AbgasSkand­al könnten sich bald dem Ende zuneigen. Das erklärt Behördensp­recher Klaus Ziehe, ein Oberstaats­anwalt. Er sagt: „Wenn man sich die Ermittlung­en, die im Dieselverf­ahren Vorgänge bei VW aus etwa zwölf Jahren aufklären sollen, als Marathonla­uf vorstellt, beginnt quasi die Runde im Stadion mit Sicht auf die Ziellinie.“Den Verteidige­rn der Beschuldig­ten solle „im Sommer“Akteneinsi­cht gewährt werden. Danach kann dann die Anklage folgen.

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