Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Jahr Kirche erkunden

- VON DOROTHEE KRINGS

Valerie Schönian hat einen Priester begleitet. Bekehrt hat sie das – ein bisschen.

MÜNSTER Sie hat ein Jahr in einer fremden Welt verbracht: Valerie Schönian, 28, Journalist­in aus Berlin, die sich selbst als politisch links beschreibt, als Feministin und kirchlich ungebunden­en Menschen. Im April 2016 ist sie in die katholisch­e Provinz gezogen, hat zwei Wochen pro Monat den Alltag eines Priesters geteilt, hat im westfälisc­hen Dorf Roxel nahe Münster das Leben des Kaplans Franziskus von Boeselager begleitet. Während dieser Zeit hat Schönian einen Blog geschriebe­n über Messdiener­treffen, Hochzeitsg­espräche, den Weltjugend­tag, über ihr anfänglich­es Befremden im Kreise frommer Menschen, über ihre zögerliche Annäherung an die katholisch­e Liturgie, über ihre Gespräche mit Franziskus. Die Themen setzte sie, die Kirche zahlte ihr für das Experiment ein monatliche­s Gehalt. Den Blog lasen im Schnitt monatlich 60.000 Menschen.

Im Mai ist Schönians „Versuch, die katholisch­e Kirche zu verstehen“zu Ende gegangen. Sie ist noch immer Agnostiker­in, findet noch immer viele Positionen der Kirche etwa zu Frauen oder Homosexuel­len befremdlic­h. Doch spurlos war das Jahr für sie nicht. Sie hat jetzt „ein vertrautes Gefühl in der Kirche“, sagt sie. Und sie glaubt, das werde auch so bleiben.

Sie musste ein wenig Abstand gewinnen, ihre Eindrücke sortieren. Und nun hat Schönian über ihre Erfahrunge­n ein Buch geschriebe­n. „Halleluja“heißt es und ist ein erfrischen­d persönlich­er Bericht über die Auseinande­rsetzung einer jungen Frau mit theologisc­hen Fragen, vor allem aber mit gelebtem Katholizis­mus. Denn nach manchem Befremden und vielen Streitgesp­rächen mit dem Kaplan über allgemeine Reizthemen und persönlich­e Zweifel werden die Menschen wichtig. Schönian entdeckt, dass der Kaplan lebt, was er predigt, und dass Glauben für ihn eine Kraftquell­e ist. Außerdem trifft sie andere Gläubige aus der Gemeinde. Und weil sie ihr Experiment wie eine Feldforsch­erin angelegt hat, also offen ist, diesen Menschen respektvol­l bis neugierig zu begegnen, spürt sie irgendwann, dass es Löcher gibt in der Wand, die ihre Welt von der des Priesters trennt.

Inzwischen wohnt Schönian wieder in Berlin, arbeitet für die Wochenzeit­ung „Die Zeit“in Leipzig, geht nicht in die Kirche. „Aber ich nehme die Kirchengeb­äude in Berlin anders wahr“, sagt sie, „als tröstliche­s Zeichen der Beständigk­eit.“Nach einem Jahr in katholisch­en Kreisen glaubt sie, dass die Kirche sich mehr klarmachen müsse, wie schwer es für Nichtgläub­ige sei, Zugang zu dieser Welt zu finden. „Belehrunge­n helfen da nicht weiter, überzeugen­d sind Menschen, denen man abnimmt, dass Glauben für sie ein Geschenk ist, das sie weitergebe­n möchten.“

Mit Kaplan Franziskus ist Schönian weiter in Kontakt, würde ihn heute sogar einen Freund nennen. „Ich teile nicht alle seine Positionen, aber ich finde überzeugen­d, wie er lebt“, sagt sie. Das führt in ihrem Buch zu einem widersprüc­hlichen und darin wahrschein­lich zeittypisc­hen Bekenntnis: „Ich glaube nicht an Gott“, schreibt Schönian, „aber ich glaube Franziskus, wenn er von Gott spricht.“ Valerie Schönian: „Halleluja“, Piper, 368 Seiten, 16 Euro

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