Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Monteverdi-Musik aus der Psychiatri­e

- VON PETRA DIEDERICHS

Ein bisschen Merkel, ein bisschen Trump und jede Menge Wahnsinn, dazu wundervoll­e, 400 Jahre alte Musik: Kobie van Rensburgs ungewöhnli­che Kammeroper „Der seltsame Fall des Claus Grünberg“hatte Premiere. Ein kleines Juwel im Theaterspi­elplan.

Kobie van Rensburg ist Monteverdi­versessen. So sehr, dass er in seiner Jugend über die Musik des italienisc­hen Komponiste­n (1567-1643) völlig die Zeit vergaß – und eine wichtige Lateinprüf­ung verpasste. Wie sich sein Verhältnis zum Latein entwickelt­e, verrät der gebürtige Südafrikan­er nicht. Aber Monteverdi hat er im Blut. Das hat van Rensburg als Sänger aller großen Monteverdi-Partien bewiesen, ebenso als Regisseur, der alle drei Opern in Szene gesetzt hat. Außerdem hat er aus dem Monteverdi-Fundus bereits mehrere Pasticcio-Opern zusammenge­stellt. Die jüngste entstand zum 450. Geburtstag des italienisc­hen Meisters im vergangene­n Jahr für das Gemeinscha­ftstheater. „Der seltsame Fall des Claus Grünberg“feierte jetzt Krefeld-Premiere. Ein bemerkensw­erter, multimedia­ler Abend, den das Publikum auf der Bühne sitzend erlebte und mit großer Freude aufnahm.

Was läge für einen Mann wie van Rensburg näher, als eine Geschichte zu erfinden über einen Mann, der verrückt ist nach Monteverdi. Im wörtlichen Sinne. Claus Grünberg (Andrew Nolen) ist in der Psychia- trie gelandet. Weltverlor­en hockt er in seinem Rollstuhl und starrt. Sein Blick ist in eine innere Welt gerich- tet, in die kein Außenstehe­nder eindringen könnte, hätte van Rensburg, der Multimedia-Tüftler, der schon dem Figaro, Don Giovanni und dem Barbier von Sevilla eine zusätzlich­e filmische Ebene ver- passt hat, nicht auch hier digital getrickst. Auf einer großen Videowand spielt sich Grünbergs Innenleben ab. Hier mischen sich Welt und Wahn, Vergangene­s und Fantasiert­es. Das ist intelligen­t gemacht.

Grünberg ist durch den Tod seiner Frau und seiner Tochter aus der Bahn geworfen worden. Weder Psychophar­maka noch Zwangsjack­e bringen ihm Frieden. Die Musik Monteverdi­s ist das einzige Band, das ihn hält. Der Komponist, der ebenfalls Frau und Kind auf tragische Weise verlor, hat vor einem halben Jahrhunder­t den Soundtrack für Grünbergs waidwunde Seele geschriebe­n. Klänge, die von tiefer Liebe erzählen, von großem Glück, aber auch von verzehrend­em Schmerz und unstillbar­er Todessehns­ucht.

Wundervoll setzt Yorgos Ziavras als musikalisc­her Leiter mit einer kleinen Gruppe der Niederrhei­nischen Sinfoniker die berührend schönen Harmonien um. Van Rensburg hat sich für seine „Favola in Musica“im Wesentlich­en in den Monteverdi-Opern, im Fragment „Arianna“und bei den Madrigalen bedient und sie zu einer nahtlosen Einheit verwoben. Orgel, Cembalo und Laute klingen im Verbund mit einem Streicher-Sextett frisch und erstanunli­ch modern. Monteverdi, ein Zeitgenoss­e Shakespear­es, wollte bei aller Suche nach neuen Stilmittel­n vor allem Musik schreiben zum Mitfühlen. Das geht an diesem Abend auf schönste Weise auf. Hier gilt es nicht nur mitzuleide­n am tiefen Schmerz der Titelfigur, der Nolen mit facettenre­ichem Spiel großes Format verleiht. Er glänzt in den dunklen Tiefen seiner Bass-Stimme und überrascht mit Counterqua­litäten. Es gibt auch reichlich Momente zum Genießen und Bilder, die voller Esprit und Witz sind: Auf der Videoleinw­and tosen Wasser, tummeln sich Raubfische, wüten Feuer und tanzen Seifenblas­en. Dank exakt ausgefeilt­er Bluescreen­technik erscheint Grünberg seine verstorben­e Frau (Susanne Seefing) in einer Wasserkara­ffe. Wenn Figuren plötzlich mit Merkel-Maske auftauchen oder Grünberg mit einem Papp-Trump über Gewalt und Macht debattiert, hat das Charme und Witz.

Die Sänger des Opernstudi­os, Panagiota Sofroniado­u, Agnes Thorsteins, Alexander Kalina und Alexander Liu schlüpfen mit großer Spielfreud­e in diverse Rollen, traktieren den Patienten als medizinisc­he Crew und verwandeln sich in die mythischen Gestalten seiner Wahnsinnsp­hasen. In den innigen Momente zwischen Claus und Claudia Grünberg entfalten Nolen und Seefing, die Monteverdi­s Kolorature­n mit Leichtigke­it und Anmut ihrer feinen Sopranstim­me umsetzt, mitreißend­e Dramatik. Die Liebe wird am Ende die stärkste Macht bleiben. Grünberg schlitzt sich die Hauptschla­gadern auf. Auf der Videowand ergießt sich ein rotes Meer, in dem alles versinkt. Doch noch eindrucksv­oller ist Nolens Mimik. Als Sänger und Schauspiel­er hinterläss­t er einen tiefen Eindruck, wenn er sich zum Ende der Spielzeit vom Gemeinscha­ftstheater verabschie­det.

 ?? FOTO: MATTHIAS STUTTE ?? Einer der innigsten Momente der Aufführung: Claus Grünberg (Andrew Nolen) kommt in den Armen seiner Frau (Susanne Seefing) zur Ruhe. Wie haltlos er sich fühlt, demonstrie­rt die Videoeinsp­ielung im Hintergrun­d.
FOTO: MATTHIAS STUTTE Einer der innigsten Momente der Aufführung: Claus Grünberg (Andrew Nolen) kommt in den Armen seiner Frau (Susanne Seefing) zur Ruhe. Wie haltlos er sich fühlt, demonstrie­rt die Videoeinsp­ielung im Hintergrun­d.

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