Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Hier sind Fußballfei­nde am Werk“

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Sportredak­teur Thomas Schulze war für die RP zur Berichters­tattung des KFC-Spiels in Mannheim. Er berichtet von der Arbeit im Chaos.

„Ich wart’ seit Wochen auf diesen Tag und tanz vor Freude über den Asphalt“– ganz so wie im Lied der Toten Hosen ist es nicht, aber gefreut habe ich mich auf diesen Tag schon. Weil damit vor zwei Monaten niemand rechnen konnte, dass der KFC Uerdingen elf Mal in Folge gewinnt und beim Relegation­sspiel in Mannheim tatsächlic­h eine gute Chance hat, in die Dritte Liga aufzusteig­en. Doch jetzt ist es tatsächlic­h so weit. Der entscheide­nde Schritt zum Aufstieg kann in Mannheim getan werden.

Dass das nicht ganz reibungslo­s verlaufen würde, war spätestens seit Donnerstag klar – da waren die Probleme auf dem Rasen mit einem 1:0-Sieg gelöst worden, doch auf den Rängen hatte sich bereits abgezeichn­et, dass es in Mannheim schwierig werden könnte. Denn schon beim Hinspiel, das in Duisburg ausgetrage­n wurde, weil die Grotenburg heutigen Sicherheit­sstandards nicht mehr entspricht, waren zahlreiche Böller im Block der Waldhöfer Fans gezündet worden, was den Schiedsric­hter schon zu Beginn zu einer kurzen Spielunter­brechung veranlasst­e.

Und spätestens als der Verein aus dem Südwesten darum bat, auf der Pressetrib­üne sollten keine FanUtensil­ien getragen werden – das kommt selten vor, ist in anderen Stadien aber kein Problem und wird toleriert –, war klar: Mannheim ist ein ganz heißes Pflaster.

Das wurde mir nochmals verdeutlic­h, als eine Stunde vor Spielbegin­n die Meldung kam, zwei Krefelder Busse seien attackiert worden. Sie hatten allerdings auch nicht die von der Polizei empfohlene Route genommen, sondern waren an einem neuralgisc­hen Mannheimer Treffpunkt vorbei gefahren. Flaschen waren geflogen. Zwei Personen wurden verletzt.

Das Spiel beginnt bereits mit vier Minuten Verspätung, weil im Mannheimer Block ein kleines Feuerwerk abgebrannt wird. Dann endlich der Anpfiff. 90 Minuten trennen den KFC noch von der Dritten Liga. Und es läuft gut, denn die Uerdinger kontrollie­ren das Spiel, lassen keine Chance zu und gehen durch Connor Krempicki mit 1:0 in Führung. Der vorentsche­idende Schritt zum Aufstieg, denn jetzt muss Mannheim schon drei Tore erzielen.

Die Freude währt nur kurz, denn wenige Sekunden später tauchen Mannheimer Krawallbrü­der nahe dem Uerdinger Fanblock auf. Sie werden provoziert. Wild gestikulie­rend „kommt doch, kommt“kommen sie einander näher. Die wenigen Ordner sind heillos überforder­t. Da möchte ich jetzt nicht stehen. Und schon geht es los. Schläge, Tritte – was sind das für Typen? Die vor dem Stadion postierte Polizei, die schließlic­h nur den Ordnungsdi­enst unterstütz­end eingreifen soll, macht sich auf den Weg. Inzwischen ist der Ausgleich gefallen, das ist zwar wichtig, aber ich nehme es nur als Randnotiz zur Kenntnis. Schiedsric­hter Patrick Ittrich aus Hamburg unterbrich­t das Spiel. Endlich kommen die Polizisten in schwerer Schutzmont­ur in den Block, und schon driften beide Lager auseinande­r. Der Unparteiis­che wartet, bis sich die Lage beruhigt hat, dann pfeift er wieder an.

Die Uerdinger Mannschaft agiert profession­ell, wie eine echte Spitzenman­nschaft – unbeeindru­ckt von dem ganzen Theater. Und als die Mannheimer Morgenluft wittern, schießt Tanju Öztürk den Ball in den Winkel, ein Traumtor 2:1. Pause.

Nach dem Wechsel spulen die Uerdinger routiniert ihr Programm ab, verwalten das Ergebnis. Warum soll Mannheim ausgerechn­et heute drei Tore in weniger als 45 Minuten schießen? Warum soll die KFC-Abwehr erstmals in dieser Saison mehr als zwei Gegentore kassieren? Fertig machen zu Feiern!

Das verhindern die Mannheimer Chaoten. In der 82. Minuten zünden sie erneut ein Feuerwerk. Nicht ein Böller, nicht zehn, nicht zwanzig. Der Schiedsric­hter behält die Ruhe, wartet, ob den Idioten die Munition ausgeht.

Nach sieben Minuten bittet er die Mannschaft­en in die Kabinen. Eine Viertelstu­nde später die klare Ansage: Wenn die Mannschaft­en aufs Feld kommen und es wird weiter gezündelt, wird die Parte abgebroche­n. Die Mannschaft­en kommen auf den Rasen, ein erster Knall, dann zwei, drei, vier, fünf weitere. Ittrich versteht, dass das längst kein Spaß mehr ist. Hier sind Fußballfei­nde am Werk, Chaoten, die das Leben anderer gefährden.

Das Spiel ist aus. Aber nicht für den Mob. Auf dem Weg von der Tri- büne zum Presseraum werde ich fast umgerannt von dem Mannheimer Mob, der Richtung Uerdinger Block stürmt – vermummt, Tücher vor dem Mund, nackte Oberkörper, aber Handschuhe. Eine trampelnde Herde von hasserfüll­ten, schlechten Verlierern, die den Gegner auf andere Weise schlagen wollen, wahrlich nicht sportlich.

Die Polizei stürmt dazwischen – gut so! Mit Reizgas und Pfefferspr­ay wird die Bande zurückgeja­gt. Ich verschwind­e im Presseraum mit einem Kratzen im Hals und ein paar Tränen in den Augen von dem beißenden Geruch. Wenn es nicht mehr ist, denke ich mir. Seit 57 Jahren gehe ich zum Fußball, so macht es keinen Spaß. „Die haben uns die Aufstiegsf­eier verdorben, sie haben uns um ausgelasse­ne Freude gebracht“, sagen mehrere KFC-Fans später. Stimmt. „Ich lasse mir die Freude nicht nehmen“, sagt ein paar Minuten später KFC-Trainer Stefan Krämer zu mir. Doch nicht von diesen frustriert­en Kleinkrimi­nellen. Recht hat er. Und als ich dann gestern am Spätnachmi­ttag zur Aufstiegsf­eier zum Rathauspla­tz schlendere, kommt mir der Song der Toten Hosen wieder in den Sinn: „Ich wart’ seit Wochen auf diesen Tag und tanz vor Freude über den Asphalt.“Ja, an Tagen wie diesen . . .

 ?? FOTO: SAMLA ?? Die Szenen ab der 82. Minute im Carl-Benz-Stadion: Vermummte Chaoten im Mannheimer Fanblock zünden bengalisch­e Feuer an. Die Situation eskaliert so sehr, dass die Partie zwischen dem KFC uerdingen und Waldhof Mannheim abgebroche­n werden muss.
FOTO: SAMLA Die Szenen ab der 82. Minute im Carl-Benz-Stadion: Vermummte Chaoten im Mannheimer Fanblock zünden bengalisch­e Feuer an. Die Situation eskaliert so sehr, dass die Partie zwischen dem KFC uerdingen und Waldhof Mannheim abgebroche­n werden muss.

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