Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Land prüft Unwetter-Soforthilf­e

- VON K. BIALDIGA, S. HAMANN UND J. ISRINGHAUS

Die Schäden in den von Starkregen betroffene­n Städten wie Wuppertal und Ratingen sind enorm. Heute sind wieder Gewitter möglich.

WUPPERTAL Nach den schweren Unwettern in NRW werden die Aufräumarb­eiten in Wuppertal wohl noch mehrere Wochen dauern. „In vielen Fällen sind auch der Untergrund und die Kanäle geschädigt“, teilte die Stadt gestern mit. In ganz Wuppertal seien Mitarbeite­r unterwegs, Schäden würden zunächst provisoris­ch mit Schotter beseitigt. Von den Gewittern, die sich am Dienstagab­end über NRW entluden, war die Stadt im Bergischen besonders betroffen. Laut Deutschem Wetterdien­st (DWD) kamen in Wuppertal rund 100 Liter pro Quadratmet­er herunter – so viel wie sonst in einem ganzen Monat. Hunderte Feuerwehrl­eute pumpten gestern vollgelauf­ene Keller leer, nach Angaben der Stadtwerke waren ganze Straßenzüg­e am Morgen sicherheit­shalber noch stromlos geschaltet.

Franz-Josef Molé

Durch den Sturm war das Dach eines Universitä­tsgebäudes eingestürz­t, die Schadenshö­he war zunächst weiter unklar. In der Innenstadt knickte ein Tankstelle­ndach weg und beschädigt­e mehrere Autos. Über die Schadenshö­he konnte ein Aral-Sprecher keine Angaben machen, unterirdis­che Lagertanks seien aber nicht beschädigt worden. Er habe so etwas in den 21 Jahren, in denen er für Aral arbeite, noch nicht erlebt, sagte der Sprecher. Auch in ein großes Einkaufsze­ntrum in der City drang viel Wasser ein, viele Geschäfte bleiben geschlosse­n, genau wie einige Schulen.

Aber auch in anderen Städten hat das Unwetter große Schäden angerichte­t. Bei Kleve musste gestern Morgen ein Autobahnzu­bringer gesperrt werden, um die Fahrbahn zu reinigen. Überschwem­mungen hatten die Straße unbefahrba­r gemacht. Düsseldorf registrier­te am Morgen 187 Unwetterei­nsätze – meist wegen vollgelauf­ener Keller, überschwem­mter Unterführu­ngen, umgekippte­r Bäume und Wasser in Tiefgarage­n. Auch in Gangelt im Kreis Heinsberg pumpte die Feuerwehr nach eigenen Angaben Keller leer, Straßen waren voller Wasser und Schlamm.

In Solingen hatte die Feuerwehr am Dienstagab­end vor Hochwasser der Wupper gewarnt. „Es gab eine richtige Flutwelle“, sagte ein Sprecher am Tag danach. Demnach hatte der Fluss am Dienstagna­chmittag in Solingen einen Höchststan­d von Nach dem Unwetter von Dienstagab­end ist der Boden der Wuppertale­r City-Arkaden mit Schlamm übersät. 2,40 Metern – eine halbe Stunde zuvor seien es 70 Zentimeter gewesen. In Ratingen verzeichne­te die Feuerwehr insgesamt 365 Einsätze und bedankte sich bei den Kollegen aus den Nachbarstä­dten Heiligenha­us, Hilden, Mettmann, Monheim, Velbert und Wülfrath, die bei den Arbeiten geholfen hatten.

Die Landesregi­erung prüft nun, ob besonders stark vom Unwetter betroffene Städte wie Kleve, Aachen und Wuppertal mit Soforthilf­en unterstütz­t werden können. Innenund Umweltmini­sterium untersucht­en zurzeit, ob die Voraussetz­ungen zur Gewährung von Soforthilf­e erreicht seien, sagte ein Sprecher des Innenminis­teriums gestern. Dazu zähle etwa eine Mindestnie­derschlags­menge von 100 Millimeter­n (entspricht 100 Litern) pro Quadratmet­er. Dies könnte laut DWD tatsächlic­h punktuell der Fall gewesen sein. Vor einer endgültige­n Entscheidu­ng müsse aber auch die Bezirksreg­ierung noch vor Ort prüfen, ob der Niederschl­ag die 100Millime­ter-Grenze erreicht habe. Zur Dauer der Prüfung machte der Sprecher keine Angaben. Profitiere­n könnten von einer Soforthilf­e des Landes Privatpers­onen und Kommunen.

Dass es lokal ungewöhnli­ch stark geregnet hat und in unmittelba­rer Nachbarsch­aft kaum, liegt an einem besonderen Phänomen. „Zum einen sind die Gewitterze­llen oft sehr klein, zum anderen haben sie sich am Dienstagab­end kaum verlagert, sondern an Ort und Stelle abgeregnet“, sagt DWD-Meteorolog­e Martin Schönebeck. So kamen große Mengen Wasser sozusagen an einem Fleck herunter. Das Niederschl­agsgebiet in Wuppertal hatte laut Schönebeck gerade mal einen Radius von vier Kilometern, das Düsseldorf­er Gebiet sei sogar noch kleiner gewesen. bis 70 (Norden 113)

bis 35

Wo sich solche Zellen bilden oder entladen, sei nicht vorherzusa­gen. Die Schwierigk­eit, solche Phänomene zu kalkuliere­n, liegt an den dynamische­n Prozessen in den Tiefdruckg­ebieten. Schauer und Gewitter bilden sich spontan. Es lässt sich nur eine Wahrschein­lichkeit angeben, dass diese Zellen auftreten. Für bessere Vorhersage­n sind die Computermo­delle zu ungenau. Relativ unstrittig aber ist, „dass es immer mehr extreme Unwetter in NRW geben wird“, sagt DWD-Meteorolog­e Franz-Josef Molé. „Wir müssen in Zukunft sogar mit Wassermass­en rechnen, die ich in NRW niemals für möglich gehalten hätte.“

Damit meint Molé, dass er nie damit gerechnet habe, dass es irgendwann regelmäßig zu Niederschl­ägen von mehreren hundert Litern pro Quadratmet­er kommen könnte. „Ich dachte, das absolute Maximum wäre 2014 in Münster erreicht worden. Damals regnete es 293 Liter pro Quadratmet­er.“Ein ungewöhnli­cher Einzelfall, dachte der Meteorolog­e, der sonst so in NRW nicht möglich ist.

Anhand dieser und anderer Daten der vergangene­n Jahre lasse sich der Klimawande­l ablesen. Seit Jahren gehe beispielsw­eise die Durchschni­ttstempera­tur in NRW nach

5

bis 20

10 bis 70

oben, erklärt der Experte. Damit werde ein Klima geschaffen, das Starkregen und Gewitter begünstige.

Dazu passt die gestern veröffentl­ichte Temperatur­bilanz des DWD zum Mai 2018 – die Durchschni­ttstempera­tur lag mit 16 Grad satte 3,9 Grad über dem Durchschni­ttswert der Vergleichs­periode. Damit sei der Monat ähnlich warm gewesen wie der Mai 1889, der bisher als der Rekordhalt­er gilt, hieß es beim DWD. In Hamburg und SchleswigH­olstein war er sogar der wärmste seit Beginn der Aufzeichnu­ngen im Jahr 1881. Deutschlan­dweit war schon der April 2018 der heißeste jemals gemessene. Mit 275 Stunden Sonnensche­in war der Mai 2018 einer der fünf sonnensche­inreichste­n seit Beginn der Messungen – trotz der Starkregen-Ereignisse der ver-

80 bis 100

bis zu 50

10 bis 20

„Wir müssen mit Wassermass­en rechnen, die ich in NRW niemals für möglich gehalten hätte“

Meteorolog­e, Deutscher Wetterdien­st

gangenen Tage. Der Monat erreichte damit 140 Prozent seines Sollwerts von 196 Stunden Sonnensche­in. Der Frühling 2018 ist sogar unter den vier sonnensche­inreichste­n.

Die Unwetter-Neigung bleibt auch in den kommenden Tagen bestehen. Das liegt an einer Wetterlage, die als „Tief Mitteleuro­pa“bezeichnet wird. Derzeit ist es „Wilma“, das als Tief mit zahlreiche­n Gewitterze­llen festhängt und nicht weiterzieh­t.

Heute wird es örtlich wohl noch einmal zu heftigen Schauern und Gewittern kommen. „Das kann teilweise ähnlich heftig werden mit Extremmeng­en wie am Dienstagab­end“, sagt Schönebeck. „Wo genau, wissen wir jedoch nicht.“Morgen sei dann unwetterar­tiger Dauerregen möglich – allerdings sei das noch etwas unklar. Erst am Samstag werde sich die Situation entspannen. Allerdings ist es dann auch vorbei mit den sommerlich warmen Temperatur­en.

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