Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Jeder vierte Flüchtling hat einen Job
Mehr als eine Million Menschen sind seit 2015 nach Deutschland gekommen. Mittlerweile haben viele Flüchtlinge eine Arbeit gefunden – einige sogar als Fachkraft. Doch nicht jeder, der einen Job hat, kann auch davon leben.
BERLIN Optimisten sehen in ihnen die Lösung für den Fachkräftemangel, Pessimisten befürchten eine Flut von Hartz-IV-Empfängern. Immer mehr Flüchtlinge drängen auf den Arbeitsmarkt. Forscher hatten 2017 folgende These aufgestellt: Im ersten Jahr nach der Einreise haben zehn Prozent der Zuwanderer eine Arbeit, nach fünf Jahren die Hälfte, nach 15 Jahren etwa 70 Prozent.
„Wenn sich der Beschäftigungszuwachs so fortsetzt, liegen wir mit der Erwartung ziemlich gut“, sagt Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Nach Zahlen des IAB hatte im März jeder vierte Migrant, der seit 2015 aus Kriegs- und Krisenländern nach Deutschland gekommen war, einen Job. Etwa jeder Fünfte hatte eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Brücker schätzt, dass bis Jahresende monatlich 8500 bis 10.000 weitere Flüchtlinge eine Arbeit finden werden.
Mit 25 Prozent ist die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen aber relativ gering. Von allen Ausländern – aus der EU, dem Balkan und den Krisenländern – hat jeder zweite eine Anstellung. Für Deutsche liegt die Quote bei fast 68 Prozent. „Das zeigt, dass die Integration in den Arbeitsmarkt einen langen Atem braucht“, sagt der Forscher mit dem Schwerpunkt Migration. Die große Bewährungsprobe stehe allerdings noch bevor: Die Mehrheit der Flüchtlinge beendet in diesem Jahr ihre Integrations- und Sprachkurse und wird auf Jobsuche gehen.
So haben derzeit viele Flüchtlinge noch keine Möglichkeit zu arbeiten. Die Zahl der arbeitslosen Flüchtlinge liegt seit Anfang 2017 relativ konstant bei rund 180.000. Das liegt daran, dass weniger Migranten aus Krisenländern nach Deutschland kommen, aber auch an der gestiegenen Erwerbstätigkeit. Zudem befinden sich viele in Integrationskursen und gelten damit nicht als arbeits- los, sondern als „unterbeschäftigt“. Die Gruppe der Unterbeschäftigten, die also einen Integrationskurs absolvieren, aber noch keiner Erwerbsarbeit nachgehen, lag im April bei 400.000 Personen.
Die Nürnberger Forscher vom IAB gehen davon aus, dass der Flüchtlingszuzug 2018 keinen Effekt auf die Arbeitslosenquote hat, aber die Zahl der Erwerbstätigen um rund 100.000 erhöhen wird. Am häufigsten schaffen es Pakistaner, einen Job in Deutschland zu finden, wie eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit zeigt. Im Februar 2018 hatten etwa 40 Prozent der pakistanischen Zuwanderer einen Job. Ebenfalls hoch lagen die Quoten bei Migranten aus Nigeria und dem Iran. Von Eritreern, Afghanen, Irakern und Somaliern hatte etwa jeder Vierte einen Job. Die meisten Asylanträge stellen Flüchtlinge aus Syrien. Von ihnen schaffte es bisher jeder Fünfte auf den Arbeitsmarkt.
Meist kommen die Zuwanderer in Jobs unter, in denen sie auch ohne gute Deutschkenntnisse klarkommen. Fast ein Drittel findet nach den Zahlen der Agentur für Arbeit eine Anstellung in der Zeitarbeit. Jeweils elf Prozent arbeiten im Gastgewerbe und in Dienstleistungsunternehmen, oftmals in der Reinigung, Logistik oder Security. Jeder Zweite hat laut IAB eine Anstellung als Fachkraft. Nur die wenigsten Flüchtlinge arbeiten in der Industrie. „Das liegt an den Qualifikatio- nen, die sie mitbringen: Viele Flüchtlinge haben schon vorher in Dienstleistungsfirmen gearbeitet“, sagt Brücker. „Viele haben dennoch das Bild im Kopf, dass alle Flüchtlinge vom Land kommen und Bauern sind. Aber das stimmt nicht.“
So positiv diese Zahlen auch klingen: Nicht jeder, der einen Job hat, kann auch davon leben. 15 Prozent aller Flüchtlinge, die Hartz IV bekommen, haben eine Arbeit, müssen aber aufstocken. Und so steigt nicht nur die Zahl der Erwerbstätigen, sondern auch die der Hilfebedürftigen. Etwa 65 Prozent der Geflüchteten haben im Januar Hartz IV bezogen – zwölf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. „Bei der Zahl der Leistungsbezieher wird die posi- tive Beschäftigungsentwicklung noch nicht richtig sichtbar“, sagt Brücker. „Denn viele rutschen nach Abschluss des Asylverfahrens zunächst in Hartz IV und damit auch in die Arbeitslosenstatistik.“Insgesamt machten Geflüchtete 14 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger aus.
Schuld daran sei vor allem die Dauer der Asylverfahren, meint der Nürnberger Forscher: „Nichts zerstört die Motivation mehr als Untätigkeit.“Brücker fordert, dass Migranten in den ersten vier Wochen einen Sprachkurs besuchen müssen. Aktuell sind Integrationskurse für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive verpflichtend, zusätzliche Deutschkurse freiwillig. Darauf müssen sie mitunter bis zu drei Monate warten.