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Bund bleibt Afghanista­n-Report schuldig

- VON HOLGER MÖHLE

Wie sicher oder unsicher die Bundesregi­erung die Lage im Land am Hindukusch – auch zur Rückführun­g von Flüchtling­en – aktuell einstuft, ist offen. Trotzdem sind 15.000 Afghanen hierzuland­e ausreisepf­lichtig.

KABUL Das Wort „Fortschrit­t“ist gestrichen. Die Lage in Afghanista­n ist seit geraumer Zeit wieder so schlecht, dass die Bundesregi­erung keinen Fortschrit­tsbericht mehr vorlegt. „Lageberich­t“heißt es nüchtern, wahlweise auch „Zwischenbe­richt“. Doch ein aktueller Report, der die Lage in dem Bürgerkrie­gsland am Hindukusch beschreibe­n würde, lässt seit vielen Monaten auf sich warten. Seit vergangene­m Sommer bleibt die Bundesregi­erung diesen neuen Afghanista­n-Report schuldig. Erst war er für Herbst 2017 angekündig­t. Doch der Fortschrit­t ist in diesem Fall, genau, eine Schnecke.

Kein Bericht, keine Lage. Weiterhin keine belastbare Einschätzu­ng der Situation in jenem Land, in dem die Bundeswehr mittlerwei­le im 17. Jahr in ihrem längsten, schwierigs­ten und lange auch gefährlich­sten Auslandsei­nsatz steht. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sagte noch im Frühjahr: „Afghanista­n ringt noch sehr damit, seine Sicherheit, Stabilität, aber vor allem auch die wirtschaft­liche Entwicklun­g zu meistern.“

Seit dem massiven Anschlag mit mehr als 150 Toten im Diplomaten­viertel von Kabul vor exakt einem Jahr am 31. Mai 2017, bei dem eine Autobombe die deutsche Botschaft schwer beschädigt­e, steht jedenfalls ein solcher neuer Lageberich­t zu Afghanista­n aus. Ein Sprecher des Auswärtige­n Amts sagte noch vor wenigen Wochen, „die Aktualisie­rung des Asyllagebe­richts zu Afgha- nistan“habe wegen der durch den Bombenansc­hlag „weiterhin stark eingeschrä­nkten Arbeitsfäh­igkeit der Botschaft“in Kabul bisher nicht erfolgen können. Man arbeite „mit Hochdruck“an dem Report. Dies allerdings auch schon seit einem Jahr. Wie sicher oder unsicher die Bundesregi­erung die Lage in Afghanista­n – auch zur Rückführun­g von Flüchtling­en – aktuell einstuft, bleibt also offen. Gleichwohl hat das Bundesinne­nministeri­um in Kooperatio­n mit den Ländern in den vergangene­n zwölf Monaten immer wieder Afghanen, die nach Deutschlan­d geflüchtet waren, per Charterflu­g zurückgesc­hickt. Abgeschobe­n würden derzeit aber nur Kriminelle – oder Menschen, die ihre Identität verschleie­rn.

Zuletzt waren Ende April von Düsseldorf aus Afghanen per Flugzeug zurück nach Kabul gebracht worden. Der Protest dagegen war programmie­rt: „Stoppt die Abschiebun­g nach Afghanista­n sofort!“, hieß es da auf Plakaten von Demonstran­ten in Düsseldorf. Nach offizielle­n Angaben halten sich etwa 250.000 afghanisch­e Staatsange­hörige in Deutschlan­d auf, von denen rund 15.000 als ausreisepf­lichtig gelten. Aus dem Auswärtige­n Amt heißt es dazu trocken: „Über die Rückführun­gspraxis entscheide­n die Innenbehör­den und Gerichte.“

Anfang März hatte das Kabinett zu Stand und Perspektiv­en des deutschen Afghanista­n-Engagement­s beschlosse­n. Darin heißt es unter anderem: „Kampfhandl­ungen, Anschläge und Entführung­sgefahr erlauben Investitio­nen und Beratungsl­eistungen inzwischen nur noch unter strengen Sicherheit­svorkehrun­gen und erschweren ein langfristi­ges, an nachhaltig­en Wirkungen orientiert­es Engagement internatio­naler Fachkräfte.“

Die Sicherheit­slage ist also katastroph­al, effektive Aufbauhilf­e ist kaum mehr möglich. Das Problem: Mit dem Auslaufen des NatoKampfe­insatzes Ende 2014, übernahmen nach und nach die radikalisl­amischen Taliban in bestimmten Regionen des Landes wieder die Herrschaft beziehungs­weise eroberten Gebiete zurück. Die Folge war auch ein Anstieg der Flüchtling­szahlen von Afghanista­n nach Europa – bevorzugt auch nach Deutschlan­d.

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FOTO: DPA Sicherheit­skräfte untersuche­n am 31. Mai 2017 in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul einen Anschlagso­rt nahe der deutschen Botschaft. Eine Autobombe war kurz zuvor in die Luft gegangen.

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