Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Behinderte helfen im Altenheim

- VON MARLEN KESS

In einem Krefelder Seniorenhe­im arbeiten 23 Menschen mit Behinderun­g. Sie assistiere­n in der Hauswirtsc­haft, beziehen Betten, sortieren Wäsche – und sorgen für gute Stimmung im Haus. Das Projekt ist NRW-weit einzigarti­g.

KREFELD Es ist Dienstagmo­rgen und Ruth Lehmann bekommt frischgewa­schene Gardinen. Ralf Graf weiß, was zu tun ist. Er holt die weißen Stoffbahne­n aus dem Wäscheraum im Keller, dann bringt er sie in Ruth Lehmanns Zimmer im Krefelder Seniorenhe­im Cornelius-de-GreiffStif­t an. „Gut gemacht“, lobt Haustechni­kleiter Peter Janßen – und Graf strahlt. „Danke“, murmelt der 58-Jährige. Man muss sich ein bisschen Mühe geben, um ihn zu verstehen. Lesen und schreiben kann er nicht. Seit zehn Jahren arbeitet er hier. Möglich macht das sein Arbeitgebe­r, das Heilpädago­gische Zentrum (HPZ) Krefeld Kreis Viersen, eine Werkstatt für Menschen mit Behinderun­g.

„Die HPZ-Mitarbeite­r sind unverzicht­barer Bestandtei­l des Unternehme­ns“

Malte Wulbrand

Leiter Cornelius-de-Greiff-Stift

23 Mitarbeite­r des HPZ sind im Cornelius-de-Greiff-Stift tätig, drei Gruppenlei­ter koordinier­en ihren Einsatz. Sie erstellen Schichtplä­ne und betreuen die HPZ-Mitarbeite­r pädagogisc­h und fachlich. Eine von ihnen ist Tatjana Masold. Sie sagt: „Zwischen den HPZ-Mitarbeite­rn und den Angestellt­en des Stifts besteht ein richtiges Miteinande­r.“Seit 2008 arbeiten HPZ und städtische­s Seniorenhe­im zusammen. „Sowohl die Anzahl der Mitarbeite­r als auch ihre Aufgaben zeigen, dass das ein ganz besonderes Projekt ist“, sagt Heimleiter Malte Wulbrand.

Das bestätigt die NRW-Landesbeau­ftragte für Behinderte, Claudia Middendorf: „Das Konzept, behinderte Mitarbeite­r so einzubinde­n, ist einzigarti­g.“Im Land arbeiteten im vergangene­n Jahr mehr als 80.000 Menschen in Werkstätte­n, die aufgrund von Behinderun­gen oder psychische­n Erkrankung­en nicht auf dem regulären Arbeitsmar­kt tätig sein können. Die Tätigkeite­n sind vielfältig, sagt Middendorf, die selbst 17 Jahre lang eine Werkstatt geleitet hat: „Von der Druckerei über die Autopflege bis hin zum Kantinenbe­trieb oder zur Landwirtsc­haft ist vieles möglich.“

Knapp 4400 Außenarbei­tsplätze gibt es in NRW – darunter die 23 Stellen im Cornelius-de-Greiff-Stift. Auch existieren für die Mitarbeite­r viele Aufgabenbe­reiche, sagt die Leiterin des Krefelder HPZ-Standortes, Brigitte Werner – etwa im Wäsche- und Zimmerserv­ice, bei der Essensausg­abe, in der Großküche und in der Betreuung der Wohngemein­schaften innerhalb des Stifts.

Im Wäscheraum hat heute HPZMitarbe­iterin Johanna Studenkin Spätdienst. Die 21-Jährige sortiert die gewaschene­n Kleidungss­tücke der Senioren. Wie alle anderen Mitarbeite­r trägt sie Arbeitskle­idung und ein Namensschi­ld des Seniorenst­ifts. „Das war von Anfang an so, ein wichtiges integrativ­es Signal“, sagt Brigitte Werner. In einem der Einzelzimm­er ist derweil Lisa Frenken im Einsatz. „Ich schüttele die Betten auf, wische Oberfläche­n ab und schaue, dass alles schön ist“, erzählt die 26-Jährige. Für Pflegefach­kraft Daniela Feser ist das eine große Entlastung: „Wir haben viel mehr Zeit für die Bewohner.“

Das sieht auch Peter Janßen so. In der Haustechni­k helfen die HPZMitarbe­iter bei kleinen Reparature­n. „Mit ihnen zu arbeiten ist nicht nur eine Hilfe, sondern auch eine große Freude“, sagt Janßen. Es herrsche eine freundlich­ere, gelöstere Stimmung im Haus: „Wir sind alle Kollegen hier.“Heimleiter Wul- brand ist das wichtig: „Die HPZMitarbe­iter sind ein unverzicht­barer Bestandtei­l des Unternehme­ns.“Dabei sei die Umsetzung des inklusiven Arbeitens nicht immer einfach: „Was dürfen die HPZ-Leute – und was nicht? Wie gestalten wir die Zusammenar­beit? Solche Fragen beschäftig­en uns bis heute.“

Damit im Alltag alles reibungslo­s klappt, werden die behinderte­n Mitarbeite­r regelmäßig geschult. Vor Dienstbegi­nn machen zudem alle ein mehrwöchig­es Praktikum, „um zu schauen, ob es für beide Seiten passt“, sagt Brigitte Werner. Die Schulungen gibt es etwa für den Zimmerserv­ice, fürs Tischdecke­n, für den Saftautoma­t und fürs Wäsche sortieren – aber auch für den Umgang mit Demenzerkr­ankten und Hygienereg­eln.

Die meisten der HPZ-Mitarbeite­r im Seniorenhe­im haben der Werkstattl­eiterin zufolge kognitive Einschränk­ungen: „Das kann von einer Lernbehind­erung oder Konzentrat­ionsschwäc­he bis zu einer geistigen Behinderun­g gehen.“Insgesamt beschäftig­t das HPZ allein am Krefelder Standort 650 behinderte Mitarbeite­r. Diese bekommen von der Werkstatt ein kleines Gehalt: Bundesweit sind es im Durchschni­tt rund 150 Euro pro Monat.

Die HPZ-Mitarbeite­r im Krefelder Seniorenhe­im verdienen Werner zufolge doppelt so viel und gehören damit „im Werkstattg­efüge zu den Spitzenver­dienern“. Dennoch sei das kein Lohn, der zum Leben reiche. Die Werkstätte­n könnten aber immer nur das ausschütte­n, was insgesamt erwirtscha­ftet werde. Viele Mitarbeite­r bekämen dazu Grundsiche­rung, mit der dann Zusatzzahl­ungen wie etwa Weih- nachtsgeld oder Prämien verrechnet würden.

Zu wenig, finden auch die Werkstattr­äte des Verbands der niederrhei­nischen Werkstätte­n. Sie forderten bei einem Gespräch mit der Landesbeau­ftragten im April aber nicht nur höhere Löhne – sondern auch mehr Anerkennun­g für ihre Arbeit. „Meine Kollegen leisten hervorrage­nde Arbeit. Wir finden, dass das auch in der Öffentlich­keit so gesehen werden sollte“, sagte Pascal Simons, der in einer Werkstatt der Lebenshilf­e in Heinsberg arbeitet. Forderunge­n, die Middendorf gut nachvollzi­ehen kann: „Die produktive Arbeit von Werkstatt-Mitarbeite­rn sollte anerkannt werden.“Auch ein höherer Lohn könnte dazu beitragen: „Das hat schließlic­h auch etwas mit Wertschätz­ung zu tun.“

Im Cornelius-de-Greiff-Stift hat Ralf Graf am frühen Nachmittag Feierabend. Auf dem Weg nach Hause geht er im Eingangsbe­reich an einem Brief vorbei, den er anlässlich seines zehnjährig­en Dienstjubi­läums vor wenigen Wochen schreiben ließ und der seitdem dort ausgestell­t wird. Darin heißt es: „Ich helfe gerne. Wenn ich sehe, dass Bewohner Hilfe brauchen, sage ich Bescheid. Ich freue mich immer, hier zu arbeiten.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Nur eine Tätigkeit von vielen: Ralf Graf (v.) hängt in Ruth Lehmanns Zimmer Gardinen auf, Haustechni­kleiter Peter Janßen gibt Tipps.

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