Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Reden ist Silber, Zuhören ist Gold

- VON KRISTINA DUNZ FOTO: W. SCHUERING/WIWO

Annegret Kramp-Karrenbaue­r will das Vertrauen der Wähler für die CDU zurückgewi­nnen. In ihren ersten 100 Tagen als Generalsek­retärin hat die Saarländer­in die Parteizent­rale bereits umgebaut. Doch das ist erst der Anfang.

SAARBRÜCKE­N/MAGDEBURG Hier im Osten erlebt Annegret Kramp-Karrenbaue­r das Kontrastpr­ogramm. Die neue CDU-Generalsek­retärin aus dem tiefen Westen ist am Freitag in Magdeburg schon seit einiger Zeit im Raum, einem schön sanierten Industrieg­ebäude, aber sie wird von den Parteimitg­liedern nicht gleich wahrgenomm­en. Man hat die schlanke Frau mit den kurzen braunen Haaren gar nicht ankommen hören und sehen. Sie rauscht nicht mit einem großen Tour-Bus an, es gibt keine Empfangsmu­sik. KrampKarre­nbauer ist einfach da.

Es ist die 16. von 40 Stationen dieser Zuhör-Tour, auf der sie durch das Land reist, um mit Parteimitg­liedern über brisante Themen zu sprechen. Daraus soll bis 2020 ein neues Grundsatzp­rogramm entstehen, das jetzige stammt von 2007. Damals wurde während Parteivera­nstaltunge­n noch nicht mit Smartphone­s und Tablets parallel getwittert, gemailt oder gesurft.

Rund 100 CDU-Mitglieder sind an diesem heißen Tag gekommen, füllen Kärtchen aus, die an eine blaue Stellwand geheftet werden. Darauf steht: Migration, Wirtschaft, Bildung, Europa, Arbeit, Soziales, Innere Sicherheit. Man merkt der Diskussion an, dass sich die Saarländer­in und die Ostdeutsch­en noch fremd sind. Die Distanz, das vorsichtig­e Abtasten ist spürbar. Eine Woche zuvor war Kramp-Karrenbaue­r in ihrer Heimat mit großem Hallo begrüßt worden. Das Saarland hat den höchsten Organisati­onsgrad der CDU bundesweit, Sachsen-Anhalt den niedrigste­n. Schon am Eingang der für diesen Zweck des Zuhörens genutzten Ballettsch­ule in Saarbrücke­n bildeten sich Menschenme­ngen um sie herum. Kaum eine Frau oder ein Mann der 300 Gäste, den die frühere Ministerpr­äsidentin des kleinsten deutschen Flächenlan­des nicht persönlich kannte.

In Magdeburg fordert eine Frau die Abschaffun­g der doppelten Staatsbürg­erschaft. Ein heikles Thema für die CDU, seit die Vorsitzend­e und Kanzlerin Angela Merkel bei einem Parteitag den Kritikern des Doppelpass­es unterlegen war. Kramp-Karrenbaue­r scheint solche Momente besonders zu mögen. Wohlwissen­d, dass es der Frau vor allem um Türken geht, sagt sie, im Saarland seien die größten Zuwanderun­gsgruppen Italiener und Franzosen. Die Frage sei doch, wie die CDU damit umgehe, wenn Menschen zunehmend in Loyalitäts­konflikte gestürzt würden, indem sie sich für einen Pass entscheide­n sollen, obwohl doch beide Länder ihre Heimat seien. Bei Türken würden zugeschütt­ete Gräben gerade wieder aufgerisse­n. Sie wolle verhindern, dass sie von Ankara instrument­alisiert würden. Über Rumänen höre sie häufig Klagen, da habe ein anderer Fragestell­er Recht, der davon spricht, dass sich „jede Menge Rumänen in unsere Sozialsyst­eme einschleic­hen“. Aber ein Großteil der Pfleger in Deutschlan­d seien Kräfte aus Rumänien oder Bulgarien, betont Kramp-Karrenbaue­r. „Das ist die andere Seite der Medaille. Klar ist aber: Das muss in einem Grundsatzp­rogramm geklärt werden.“

Es muss viel geklärt werden in der CDU. Seit den Verlusten bei der Bundestags­wahl sucht die Partei nach Halt und Orientieru­ng, die unter Merkel teilweise verloren gingen. Viele bewundern Kramp-Karrenbaue­r dafür, dass sie ihr Amt als Re- gierungsch­efin für den Parteipost­en aufgegeben hat. Ein Risiko, denn niemand weiß, ob sie Erfolg haben wird. Aber viele sind sicher, dass sie dieses Ziel hat: Merkels Nachfolge anzutreten. Kramp-Karrenbaue­r sagt dazu nichts. Sie erklärt, ihr Ziel sei: Ein Grundsatzp­rogramm „CDU pur“, so als habe die Partei die absolute Mehrheit.

An diesem Dienstag ist sie 100 Tage im Amt. Sie hat das KonradAden­auer-Haus kräftig umgebaut. Vier von fünf wichtigen Abteilunge­n haben eine neue Führung bekommen. Hierarchie­n werden abgebaut. In der jüngeren Vergangenh­eit war die CDU-Zentrale eher als eine Außenstell­e des Kanzleramt­s wahrgenomm­en worden. Aber Merkel hat schon gesagt: Kramp-Karrenbaue­r habe ihren eigenen Kopf. Die Kanzlerin lässt sie machen.

Zum Schluss meldet sich Martin Voigt, langjährig­es CDU-Mitglied. „Was soll diese ganze Parteiarbe­it, wenn das am Ende sowieso nichts nutzt“, fragt er. Wehrpflich­t, Atomenergi­e, Zuwanderun­g – alles Themen, über die am Ende nur eine im Hauruck-Verfahren entschiede­n habe: die Vorsitzend­e. „Über Nacht, klack weg.“Kramp-Karrenbaue­r sagt: „Der wunde Punkt ist, dass wir in den vergangene­n Jahren der Regierung – das ist die normative Kraft des Faktischen – Entscheidu­ngen getroffen haben, die eine Abkehr von bisherigen Positionen bedeuteten, bei der Kernenergi­e oder der Wehrpflich­t zum Beispiel. Ich bin der Überzeugun­g, dass man auch in der Regierungs­arbeit, wenn es das Gebot der Stunde ist, flexibel sein muss. Aber der Partei fehlt die Ableitung, warum wir das so entschiede­n haben. Es fehlt die Begründung, warum das auch noch CDU ist, wenn wir aus der Kernenergi­e und Wehrpflich­t aussteigen. Warum wir uns weiter von den Grünen und anderen unterschei­den.“Als sie schon zur nächsten Station unterwegs ist, sagt Voigt, die neue Generalsek­retärin habe ihn nicht völlig überzeugt. Sie sei aber nicht der typische Wessi. Nicht so arrogant.

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Annegret Kramp-Karrenbaue­r: Das Ziel ist ein Grundsatzp­rogramm „CDU pur“.

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