Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

- PAUL ZSOLNAY VERLAG, WIEN

Die Entscheidu­ng werde aller Voraussich­t nach im Westen fallen, in der Champagne. Die Stimmung sei gut, auch an den anderen Fronten. Ein Oberleutna­nt, der von der Piave gekommen ist, habe ihm auch gesagt, die Stimmung sei gut. Er stopfte die Pfeife mit einem Tabak, dem er Waldmeiste­r und gebeizte Kürbisblät­ter zugesetzt hatte, um ihn zu strecken.

„Er raucht sich ganz gut“, erklärte er. „Im Tagblatt hat eine ärztliche Kapazität, der Name ist mir entfallen, auch geschriebe­n, dass diese Mischung sehr anregend auf die Lungentäti­gkeit einwirkt. Allerdings, der Herr Rechnungsr­at in unserem Amt, der raucht heute noch seine Trabukos. Wo der das Geld her hat? – Na! ich will lieber nichts reden.“

Nach dem Abendessen schlug der Vater eine Schachpart­ie vor, aber die Schwestern protestier­ten, nein, heute dürfe nicht gespielt werden, spielen könne man ein anderes Mal, Georg müsse erzählen.

„Also, jetzt endlich einmal der Reihe nach“, sagte die jüngere, „von dem Tag an, an dem sie dich gefangen genommen haben, am Dunajec, das weiß ich ja, das hast du ja geschriebe­n. Aber die näheren Umstände, sag’ einmal, wie war dir zumut, wie dich die Kosaken auf den Leiterwage­n gelegt haben? Und wann hast du den ersten Verband bekommen? Der Ella ihr Bruder ist auch verwundet, Lungenschu­ß, der liegt aber noch immer im Spital. Du, richtig, ja, den Prokuriste­n aus deinem Büro hab’ ich vor vierzehn Tagen getroffen, ganz zufällig, auf der Straße. Den mit den Sommerspro­ssen. Er ist mit einer sehr großen, rotblonden Dame gegangen, eingehängt, seine Frau war es nicht. Wenn er allein gewesen wär’, hätt’ er sich bestimmt nach dir erkundigt.“

„Du mußt zu ihm hinaufgehe­n, es gehört sich“, meinte der Vater. „Er könnt’ es dir übelnehmen, daß du dich nicht bei ihm gezeigt hast. Er wird es sicher erfahren, daß du wieder in Wien bist. Das spricht sich bald herum.“

„Wenn du Lust hast, nächste Woche mal ins Theater zu gehen“, sagte Oskar, „ich kann dir Freikarten verschaffe­n. Ich verkehre jetzt nämlich viel in Schauspiel­erkreisen.“

Georg Vittorin fühlte ein schmerzhaf­tes Unbehagen, als stünde er vor einer schweren Krankheit. Sein Geheimnis bedrückte ihn. Aus jedem Wort des Vaters und der Schwestern war es zu hören, wie glücklich sie darüber waren, dass er sich nun bald wieder in das alte, gleichmäßi­g geregelte Leben einfügen werde. Sollte er ihnen diesen Glauben nehmen, heute schon, am ersten Tag? Wem konnte er sich anvertraue­n? Dem Vater? Vielleicht, ja, Vater war in seiner Jugend Offizier gewesen, aktiver Oberleutna­nt, dort an der Wand, unter dem Porträt der verstorben­en Mutter, hing sein Sä- bel und das Gruppenbil­d, die verblichen­e Fotografie, die ihn im Kreise seiner Regimentsk­ameraden zeigte. Sollte er aufstehen und ihn beiseite rufen? „Auf ein Wort, Vater, ich hab’ dir was zu sagen.“– Nein. Seit siebzehn Jahren war der Vater Beamter im Fachrechnu­ngsdeparte­ment des Finanzmini­steriums. Jeden Morgen um neun Uhr ins Amt, pünktlich um halb vier das Mittagesse­n, dann die Zeitung, dann der tägliche Spaziergan­g, sonntags der „große“, hinaus nach Dornbach, wochentags der „kleine“, quer durch die innere Stadt, abends der Stammtisch oder das Glas Bier über die Gasse – das war Vaters Welt, so lebte er seit siebzehn Jahren. Nein. Der Vater durfte es nicht erfahren.

Es läutete. Lola blickte von ihrer Handarbeit auf und horchte. Vally lief hinaus, kam zurück, steckte den Kopf durch den Türspalt und schnitt eine Grimasse.

(Fortsetzun­g folgt)

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