Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Darf Kunst alles, was sie kann?

- VON BERTRAM MÜLLER

Gregor Schneider, Tony Cragg, Jürgen Klauke und Peter Lynen diskutiert­en über Grenzen der bildenden Kunst.

DÜSSELDORF Künstler verstehen sich als Überwinder von Grenzen. Sie brechen gern Tabus und sehen ihre Rolle in der Gesellscha­ft darin, der Alltagswel­t neue, ungeahnte Welten entgegenzu­stellen. Künstler sind Spezialist­en für sinnliche Utopien. Doch wehe, es stellt sich ihnen jemand in den Weg! „Zensur“, heißt es dann meist, und die ist laut Grundgeset­z verboten.

Über „Horizonte und Grenzen der Kunst“diskutiert­en jetzt vor Publikum in der Nordrhein-Westfälisc­hen Akademie der Wissenscha­ften und der Künste in Düsseldorf drei weithin bekannte Künstler und ein Jurist: Tony Cragg, Jürgen Klauke, Gregor Schneider sowie Peter Lynen, Sekretar der Klasse für Künste an der NRW-Akademie. Der Jurist Lynen wies gleich in seiner Einführung auf den guten Stand der Kunstfreih­eit in Deutschlan­d hin. „In dubio pro arte“sei der Leitgedank­e im Gesetz: im Zweifelsfa­ll für die Kunst.

Doch wenn Auseinande­rsetzungen zwischen Freiheit der Kunst und zum Beispiel Sicherheit­sbedenken aufkommen, geht die Kunst daraus nicht immer als Siegerin hervor. Gregor Schneider, Professor an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie, hat da so seine Erfahrunge­n gemacht. Er erzählte, wie er offiziell eingeladen worden sei, zur venezianis­chen Kunst-Biennale 2005 auf dem Markusplat­z eine von der Kaaba in Mekka inspiriert­e Großskulpt­ur zu errichten. Kurz vor der Eröffnung verbot die italienisc­he Regierung diese Aktion wegen de- ren nicht näher erläuterte­r „politische­r Natur“.

Dabei hatte Schneider sich abgesicher­t: Ein Nachbau der Kaaba verstoße nicht gegen Vorschrift­en des Islam. Auch auf dem Tempelberg in Jerusalem und am Museum Hamburger Bahnhof in Berlin durfte der Kubus nicht gebaut werden.

Als weiteres Beispiel einer Absage führte Schneider sein Projekt „Tot- last“für das Duisburger WilhelmLeh­mbruck-Museum an. Der Oberbürger­meister sagte es kurzfristi­g ab mit einem vagen Hinweis auf die Love-Parade-Katastroph­e 2010. Dabei habe es für „Totlast“keinerlei Sicherheit­sbedenken gegeben, so erläuterte Schneider. Offenbar habe man der Bevölkerun­g eine Auseinande­rsetzung mit einer ungewöhnli­chen Tunnel-Großskulpt­ur nicht zumuten wollen. Darüber hätte sich in Düsseldorf nun eine Diskussion entspinnen können, doch zunächst waren die anderen Podiumsgäs­te gefordert, ihre Ansichten zum Thema des Abends auszubreit­en. Tony Cragg betonte, dass jeder Künstler mit seiner Vorstellun­gskraft Grenzen überwinden wolle, darunter die Grenze zwischen Wissen und Glauben. Jürgen Klauke da- gegen erklärte, dass sein Thema gerade die Unüberwind­lichkeit einer Grenze sei: des Todes. „Die Forderung nach stetiger Innovation in der Kunst ist uneinlösba­r“, hielt Klauke seinem Mitdiskuta­nten Cragg entgegen – und teilte als der große Ironiker, als der er bekannt ist, gleich noch ein wenig aus: „Viele Kunstwerke benötigen heutzutage einen Beipackzet­tel.“

Klauke zog auch über den Kunstmarkt her: „Der Markt genießt die Oberfläche.“Künstler zu sein sei wegen der Verdiensta­ussichten mittlerwei­le zum Beruf geworden; früher sei es eine Berufung gewesen.

Als sich die Diskussion am Ende dem Publikum öffnete, meldete sich Gregor Schneider noch einmal zu Wort: Er habe bei seinem KaabaProje­kt für Venedig vor allem Diskussion­skultur vermisst. Schade, dass man die Diskussion an diesem Abend nicht nachgeholt hat. Denn zwischen dem Kaaba-Nachbau und dem „Totlast“-Projekt bestehen ja Unterschie­de. Muss jede Ausstellun­g des Lehmbruck-Museums künftig darauf abgeklopft werden, ob sich eine gedanklich­e Verbindung zur Love Parade aufdrängt? Und muss man anderersei­ts nicht Verständni­s für eine Politik haben, die in Zeiten eines oft irrational­en Terrorismu­s eine Kaaba mitten in Venedig lieber verhindert?

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