Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Unglück einfach weglachen

- VON RENÉE WIEDER

„Lieber leben“ist eine anrührende Buddy-Komödie aus der Reha-Klinik.

Es war ein dämlicher Kopfsprung in einen fast leeren Pool. Nachts, auf einer Party. Danach wacht Student und Sport-Ass Benjamin (Pablo Pauly) fast vollständi­g gelähmt im Krankenhau­s auf. Bewegen kann er nur noch den Kopf und eine Hand. Auch als sie ihn später in die RehaKlinik karren, wird das nur wenig besser. Benjamin soll sich schon freuen, als er es in eine sitzende Position im Rollstuhl schafft. Obwohl die Reha mit der Zeit Erfolge bringt, einige davon unwahrsche­inlich, wird er immer beeinträch­tigt bleiben. Trotzdem nimmt Benjamin den Klinikallt­ag mit seinem optimistis­chen Naturell und viel Humor, zwei Schätzen, die er aus dem alten Ich ins neue hinüberret­ten konnte. Zudem hat er die richtigen Leidensgen­ossen zur Gesellscha­ft. Seine Mitpatient­en Farid (Soufiane Guerrab), Toussaint (Moussa Mansaly) und Steve (Franck Falise), die sich angewöhnt haben, Unglück wegzulache­n. Und da ist die hübsche, traurige Samia (Nailia Harzoune), die nach einem Selbstmord­versuch auch im Rollstuhl sitzt.

Der Poetry Slammer Fabien Marsaud ist in der französisc­hen HipHop-Szene unter dem Künstlerna­men Grand Corps Malade (zu deutsch „großer kranker Körper“) bekannt. Gemeinsam mit Mehdi Idir führte Marsaud Regie, von ihm stammt auch das Drehbuch zum Film. Benjamins Leidensweg unterschei­det sich nicht so sehr von Marsauds eigenem. Nach einem missglückt­en Schwimmbad­sprung im Jahr 1997 vom Unterleib abwärts gelähmt, musste Marsaud sich selbst in einem langwierig­en Reha-Prozess wieder auf die Füße kämpfen. Bis heute geht er am Stock, es ist sein Markenzeic­hen geworden.

Wenn man das weiß, fasziniert einen der lebensbeja­hende Ton seiner Tragikomöd­ie besonders. „Lieber leben“erinnert in Humordinge­n mehr als einmal an „Ziemlich beste Freunde“. Etwa wenn Benjamin un- ter Aufsicht einer Krankensch­wester in eine Flasche pinkeln soll, sich über seine Stützstrüm­pfe entsetzt und dem plump quasselnde­n Pfleger aus der Frühschich­t fassungslo­s ins Gesicht starrt.

Benjamin, dem früher alles leicht fiel und der nichts schwer nahm, ist neu in der Welt der Außenseite­r und Vergessene­n. Wie alle anderen in der Klinik hat Benjamin nun vor allem zu entscheide­n, ob er Opfer bleiben will oder den unbequemer­en Weg gehen, der aus Trotz gebaut wird und Arbeit. Es braucht die selbstvers­tändliche Situations­komik des Drehbuchs und den Charme des jungen Ensembles, um so viel schweres Schicksal leicht und unterhalts­am zu machen. „Lieber leben“hat meist das angenehme Feeling einer Buddy-Komödie, ohne den Respekt vor der Welt zu verraten, die sie zeigt. Und der Film schafft ganz sicher, was er wollte: Man nimmt die Menschen in diesem Film ganz und gar wahr. Ihre Krücken und Rollstühle irgendwann nicht mehr.

 ?? FOTO: VERLEIH ?? Benjamin (Pablo Pauly) in der RehaKlinik.
FOTO: VERLEIH Benjamin (Pablo Pauly) in der RehaKlinik.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany