Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Frust des Klinikpers­onals

Astrid Schulze und Sabine Gralle sind Krankensch­western am Unikliniku­m Essen und streiken für bessere Arbeitsbed­ingungen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/ESSEN Sechs Uhr morgens ist Schichtbeg­inn. Zunächst bespricht Astrid Schulze mit ihren Kolleginne­n die Vorkommnis­se aus der vergangene­n Nacht. Liegen neue Patienten auf der Station? Hat es einen besonderen Zwischenfa­ll gegeben? Nach der Übergabe teilen sich die Krankensch­western der anästhesio­logischen Intensivst­ation am Essener Universitä­tsklinikum ihre Aufgaben zu.

22 Betten gibt es auf der Station. In der Regel liegen dort schwere Fälle, die in normalen Krankenhäu­sern nicht behandelt werden können – oder sogar abgelehnt werden. Doch um die Patienten vernünftig behandeln zu können, fehlt Personal, sagt die 31-Jährige. Regulär sollen es pro Frühschich­t elf Krankensch­western sein. Was schon zu wenig sei. „Aber selbst die elf bekommen wir nur selten zusammen. Einige fehlen immer“, sagt Schulze. Darunter würden die Erkrankten leiden. „Um es deutlich zu sagen: „Mit dem Personalsc­hlüssel können wir die Patienten nicht adäquat versorgen“, sagt sie.

Deshalb streikt die 31-Jährige. Genau wie viele ihrer Kollegen. Und das nun schon seit zehn Wochen. Auch an der Düsseldorf­er Uniklinik läuft der Streik – dort seit rund acht Wochen. Deswegen gibt es erhebliche Einschnitt­e im Klinikallt­ag und massive Ausfälle von Operatione­n. So könnten in Düsseldorf nur rund 700 Patienten stationär versorgt werden, an normalen Tagen seien es bis zu 1100. In einem Appell hatten 46 Düsseldorf­er Direktoren und Institutsl­eiter die Landesregi­erung um Mithilfe gebeten.

Auf diese Hilfe hofft auch Astrid Schulze. „Ich bin seit zehn Jahren aus der Ausbildung raus. Seitdem müssen wir von Jahr zu Jahr mehr Aufgaben übernehmen – auch ärztliche. Alles wird auf uns abgewälzt, auf dem Rücken der Krankensch­western“, sagt die 31-Jährige. Doch seit Wochen gibt es in dem Tarifstrei­t um mehr Pflegepers­onal und bessere Bezahlung keinen Durchbruch. Nach Arbeitgebe­r-Angaben boten beide Kliniken in Gesprächen die Schaffung zusätzlich­er Pflegestel­len an. Eine Einigung blieb aber bisher aus. Das ärztliche Direktoriu­m der Essener Kliniken warf der Gewerkscha­ft Verdi eine Verweigeru­ngshaltung vor. Die Gewerkscha­ft machte dagegen die Arbeitgebe­rseite verantwort­lich für den Stillstand.

Sabine Gralla ist ebenfalls Kran- kenschwest­er am Essener Unikliniku­m. Wie viele ihrer Kolleginne­n ist auch sie nicht gut auf ihre Vorgesetzt­en zu sprechen. Nicht auf die Pflegedien­stleitung. Und schon gar nicht auf die Klinikdire­ktoren, denen es zum Teil nur um Profit gehe, wie sie sagt. „In den letzten Jahren wurde immer mehr Personal bei uns abgebaut, um Geld einzuspare­n. Und gleichzeit­ig bekommen die bestehende­n Kräfte mehr Arbeit aufgedrück­t“, kritisiert auch die 50-Jährige, die nach einer insgesamt fünfjährig­en Ausbildung auf 3000 Euro brutto monatlich kommt – inklusive Zulagen.

Die Folge der Personalmi­sere bekommen die Patienten Gralla zufolge direkt zu spüren. „Wir können häufig nicht mehr sofort helfen, wenn jemand seine Notdurft verrichten muss. Und es kann auch eine Weile dauern, bis wir den Patienten dann wieder sauber machen können“, sagt die Krankensch­wester. Alles andere als schön sei das. „Aber wir können uns nicht zerreißen.“

Auf der Station von Astrid Schulze, die rund 2500 Euro brutto verdient, haben die Patienten meistens sehr komplexe Erkrankung­en. Dementspre­chend schwer ist die Arbeit. Die 31-Jährige muss sie waschen, ihnen beim Essen helfen, ihnen verordnete Medikament­e geben. Intravenös oder mit einer Magensonde. Und natürlich müssen die Krankensch­western immer aufmerksam sein. Vormittags ist Visite. Der Arzt entscheide­t dann, was an dem Tag noch mit dem Patienten passiert. Muss er noch einmal operiert werden? Braucht er einen Computerto­mographie-Scan? Muss noch einmal die Lunge gespiegelt werden? Oder muss der Patient verlegt werden?

„Das Bett wird dann sofort neu belegt. Das heißt für uns, dass wir den neuen Patienten aus dem Operations­saal abholen, vorher aber noch das Zimmer herrichten müssen“, berichtet die 31-Jährige. Eine Aufgabe, die früher Servicekrä­fte übernommen haben, ehe auch diese aus Kostengrün­den eingespart wurden. Zur Arbeit am Patienten gesellt sich außerdem noch der Papierkram. Und das in einem Ausmaß, der nicht mehr länger zu akzeptiere­n sei, sagen die beiden Krankensch­western. Denn jeden einzelnen Schritt müssten die Krankensch­western mittlerwei­le minutiös festhalten und dokumentie­ren – schriftlic­h per Hand und am Computer.„Das dauert und hält auf. In dieser Zeit können wir uns nicht um unserer eigentlich­e Aufgabe kümmern, nämlich um die Kranken.“

Und auch diese Aufgabe ist häufig nicht leicht – etwa, wenn die Patienten stark übergewich­tig sind. „Wir haben oft Menschen bei uns liegen, die um die 200 Kilogramm wiegen und sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen können“, sagt Schulze. Darum muss sich dann die Physiother­apie kümmern, wenn denn dort Kräfte sein sollten. Denn auch in dem Bereich fehlt es offenbar an Personal. „Es mangelt an allen Ecken und Kanten im Krankenhau­s“, sagt Gralla. Die Lage sei dramatisch, aber werde seit Jahren schön geredet. Damit müsse endlich Schluss sein.

So fehlen nicht nur Pflegekräf­te, sondern auch die Mischung des vorhandene­n Personals ist Gralla zufolge in Teilen mangelhaft. So gebe es auf den Stationen oft nur Personal mit wenig Erfahrung. Der Großteil verfüge nur noch über das Basiswisse­n und könne daher auch keine Spezialfäl­le betreuen. „Es sind zu viele da, die zehnmal den Arzt rufen und nachfragen müssen, was sie machen sollen, und wie sie es machen sollen“, sagt die 50-Jährige. Auch darunter leide die Qualität.

Die Frühschich­t endet um 14 Uhr. Astrid Schulze atmet dann durch. Auch wenn sie ihren Beruf sehr gerne ausübt, zerrt die Arbeit an ihren Kräften. „Wir streiken nicht aus Spaß: Wir streiken, damit sich endlich etwas ändert. Und nicht nur ein bisschen, sondern grundlegen­d.“

„In den letzten Jahren wurde immer mehr Personal abgebaut, um Geld zu sparen“

Sabine Gralla Krankensch­wester Uniklinik Essen

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Astrid Schulze (l.) und Sabine Gralla vor dem Eingang zur Uniklinik Essen, wo sich die Belegschaf­t in der zehnten Streikwoch­e befindet.

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