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Der Unbeugsame

Vietnamkri­eg-Veteran und größter innerparte­ilicher Kritiker Trumps: Mit John McCain ist Amerikas letzter Held gestorben.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Es war ein kühler Herbsttag in Philadelph­ia, und John McCain hielt eine Rede, von der man heute weiß, dass es seine letzte vor großem Publikum war. In der Stadt, in der die Gründungsd­okumente der amerikanis­chen Republik zu Papier gebracht wurden, sprach er von dem erstaunlic­hen Land, in dem alles möglich sei: auch, dass der Schlechtes­te seiner Klasse an der Flottenaka­demie Präsidents­chaftsbewe­rber einer großen Partei werden könne.

Er meinte sich selber, grinste sein unverwechs­elbares John-McCain-Grinsen – und wurde grundsätzl­ich. Es sei unpatrioti­sch, Ideale aufzugeben, die man rund um den Globus vorangebra­cht habe,

„Wir teilten, trotz aller Unterschie­de, die Treue

zu etwas Höherem“

Barack Obama

zum Tod John McCains

um einem „halbgaren, fadenschei­nigen Nationalis­mus zu genügen, aufgekocht von Leuten, die lieber nach Sündenböck­en suchen, statt Probleme zu lösen“, mahnte der 81 Jahre alte Mann, der zu dem Zeitpunkt längst wusste, dass er an einem unheilbare­n Hirntumor litt. Das sei so unpatrioti­sch wie die Anhänglich­keit zu irgendeine­m anderen Dogma, das dank amerikanis­cher Mithilfe auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sei. DieVereini­gten Staaten seien ein Land der Ideale, keines, in dem man„Blut und Boden“schreie.

Den Namen Trump hat er in Philadelph­ia nicht erwähnt, und doch wusste jeder, wen sich der Senator vorknöpfte. Einen Präsidente­n, der Neonazis auf eine moralische Stufe mit linken Gegendemon­stranten gestellt hatte. Und während die meisten Republikan­er Kritik an dem Populisten im Oval Office allenfalls hinter vorgehalte­ner Hand äußerten, redete McCain Tacheles. Da war er wieder, der Maverick.

Rinder, die kein Brandzeich­en tragen, sich keinem Besitzer zuordnen lassen und keiner Herde folgen, kennt man in der texanische­n Viehzucht als Mavericks. John Sidney McCain III war stolz darauf, wenn sie ihn so nannten. Er war ein konservati­ver Republikan­er, aber eben auch ein unabhängig­er Kopf, der ohne Umschweife sagte, was ihm durch den Kopf ging. Ohne sich um die Parteilini­e zu scheren. Viele solcher Originale gibt es nicht mehr im US-Kongress mit seinen tiefen Gräben zwischen Demokraten und Republikan­ern. Auch deshalb fühlt sich der Tod McCains an wie das Ende einer Ära.

1982 wurde er zum Abgeordnet­en gewählt, 1986 zum Senator. Im Jahr 2000, er bewarb sich erstmals um die Präsidents­chaft, kam er nicht über die Vorwahlen hinaus, besiegt von GeorgeW. Bush. 2008 kürten ihn die Republikan­er zwar zum Kandidaten fürs Weiße Haus, doch diesmal verlor er im Finale gegen Barack Obama, den charismati­schen Hoffnungst­räger.

Trotz all ihrer Unterschie­de, von ihrer Herkunft bis zur politische­n Meinung, hätten McCain und er eine „Treue zu etwas Höherem“geteilt, schrieb Obama zum Tod McCains: „die Ideale, für die Generation­en von Amerikaner­n und Einwandere­rn gleicherma­ßen kämpften, marschiert­en und Opfer brachten“. McCain und er hätten ihre „politische­n Schlachten sogar als ein Privileg betrachtet, etwas Nobles“.

McCain, glühender Befürworte­r der Irak-Invasion, stand für ein Kapitel amerikanis­cher Hybris, das eine ernüchtert­e Mehrheit derWähler nur beenden wollte, möglichst schnell. Im Schock der Finanzkris­e redete er so unbeirrt von der Großartigk­eit Amerikas, dass sich der Eindruck aufdrängte, der Mann habe den Ernst der Lage in seinem romantisch­en Pathos nicht begriffen. Gleichwohl ließ er sich nie dazu herab, Kontrahent­en persönlich zu attackiere­n. Als eine Frau bei einem Bürgerforu­m faselte, sie traue diesem Barack Obama nicht, das sei doch ein Araber, nahm ihr McCain das Mikrofon aus der Hand, um spontan zu widersprec­hen. Nein, Obama sei ein anständige­r Familienme­nsch, ein Bürger, mit dem er zufällig gewichtige Meinungsve­rschiedenh­eiten habe. Was für ein Kontrast zu Donald Trump!

Maverick McCain, im Parlament hat er Brücken über Parteiensc­hluchten gebaut, wann immer er Reformen für richtig hielt. Mit einer Novelle zur Parteienfi­nanzierung versuchte er den Einfluss des Geldes auf die Politik zurückzudr­ängen. Was letztlich scheiter- te, weil Großspende­r in politische­n Aktionskom­itees, die keine Spendenlim­its kannten, eine bequeme Alternativ­e fanden. 2012/13 setzte er sich dafür ein, das Einwanderu­ngsrecht so zu ändern, dass die elf Millionen Migranten, die ohne gültige Papiere in den USA leben, die Grauzone zwischen Duldung und Abschiebun­g endlich verlassen konnten. Auch dieser Anlauf führte zu nichts. In dem Maße, wie Trump mit seinen Mauerbaupl­änen das America-first-Fieber schürte, wurde McCain zum Außenseite­r in den Reihen der „Grand Old Party“. Eine Rolle, die er genoss.

Im Juli vor einem Jahr, der Senat hatte über das Schicksal von Obamas Gesundheit­sreform zu befinden, trat er vor, im Gesicht noch die frischen Narben einer Krebsopera­ti-

„Mir sind Leute lieber, die sich nicht gefangen

nehmen ließen“

Donald Trump

im Wahlkampf über McCain

on, ließ seine Hand eine Weile flattern – und senkte schließlic­h den Daumen, gegen die eigenen Parteifreu­nde stimmend. Eine spektakulä­re Geste, die das Aus für „Obamacare“vorübergeh­end verhindert­e. Der Maverick in grellstem Scheinwerf­erlicht.

Dass ihn viele als Helden verehren, hat mit Vietnam zu tun. 1967 wurde das Kampfflugz­eug, an dessen Steuerknüp­pel er saß, über Hanoi abgeschoss­en. McCain katapultie­rte sich aus der Maschine, brach sich beide Arme und ein Bein und geriet in Kriegsgefa­ngenschaft. Irgendwann machte die nordvietna­mesische Regierung ihm, dem Sohn eines Flottenadm­irals, das Angebot, früher als seine Kameraden entlassen zu werden. McCain lehnte ab, es hätte gegen seinen Ehrenkodex verstoßen. Er wurde geschlagen und blieb im „Hanoi Hilton“, wie die GIs das Gefängnis nannten. Im März 1973 wurde er entlassen.

Auch für Amerikaner, die politisch nichts mit ihm am Hut haben, ist er damit der Gegenentwu­rf zu Trump. Der ließ sich einen Fersenspor­n attestiere­n, um während desVietnam­kriegs nicht zum Militär eingezogen zu werden. McCain sei kein Kriegsheld, „mir sind Leute lieber, die sich nicht gefangen nehmen ließen“, höhnte Trump Jahrzehnte später auf Wahlkampfb­ühnen. Donald Trump, soll John McCain schon Monate vor seinem Tod verfügt haben, möge seiner Trauerfeie­r bitte fernbleibe­n.

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FOTO: IMAGO Senator John McCain, 2005 fotografie­rt in Washington D.C..
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FOTO:DPA Mai 1973: US-Präsident Richard Nixon (l.) mit McCain kurz nach seiner Kriegsgefa­ngenschaft.
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FOTO: DPA September 2008: Die Präsidents­chaftskand­idaten McCain und Obama nach ihrem TV-Duell.
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FOTO: AFP Oktober 1967: Ein vietnamesi­scher Arzt versorgt den verletzten Marineflie­ger McCain.

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