Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wohnungsma­rkt-Misere bekommt eine Bühne

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

DORTMUND Der Theatermac­her und Sänger Schorsch Kamerun weiß, was es bedeutet, wenn ein Stadtteil gentrifizi­ert wird. Er war in jungen Jahren selbst einer der Kreativen, die in Hamburg nach St. Pauli zogen, weil das Viertel Flair hatte und man dort eine Bude für 150 Mark bekommen konnte. Heute ist St. Pauli einer der begehrtest­en Stadtteile Hamburgs, eine Marke. Eine Wohnung können sich nur noch Besserverd­iener leisten, alt eingesesse­ne Anwohner gibt es kaum noch. Für die Ruhrtrienn­ale spielt Schorsch Kamerun jetzt durch, wie es in der Dortmunder Nordstadt aussehen könnte, wenn dort Ähnliches geschähe. Seine „Nordstadt Phantasien“sind nicht weit weg von der Wirklichke­it.

Der Kiez hinter dem Dortmunder Hauptbahnh­of ist in den vergangene­n Jahren einerseits bekannt geworden als „Problemvie­rtel“mit Drogenumsc­hlagplatz, Straßenstr­ich und Schrottimm­obilien. Anderersei­ts hängen an genau der Straßeneck­e, die Schorsch Kamerun für seine Inszenieru­ng im öffentli- chen Raum gewählt hat, auch hippe, junge Menschen in angesagten Bars herum oder zischen ein Bier am Kiosk.

Die„Nordstadt Phantasien“funktionie­ren auf zwei Ebenen: Die Menschen imViertel leben ihr Leben zwischen türkischem Kiosk, Spielplatz und Wettbude weiter, werden dabei aber überrasche­nd zum Publikum von schrägen und rätselhaft­en Auftritten und Performanc­es wie einer Stadtführu­ng mit Szene-Kiez-Führer, einer Wrestling-Show oder einem Tanz der aufblasbar­en Schwäne. Auf einer überdachte­n Tribüne auf der anderen Straßensei­te sitzt das Ruhrtrienn­ale-Publikum hinter einer Glasscheib­e und hört über Kopfhörer die Live-Musik von PC Nackt, den assoziativ-sloganhaft­en (Sprech-)Gesang Schorsch Kameruns und Texte von zwei Schauspiel­ern. Sie machen aus dem Treiben vor der Scheibe die Erzählung einer nicht besonders freundlich­en Übernahme: Die durchgedre­hten Künstler und Kreativen, die sich hier in knallbunte­n Kostümen unters Volk mischen, werden bald die einzigen sein, die sich die Mieten noch leisten können.

Das Perfide an Kameruns Inszenieru­ng ist, dass er die echten Nordstadt-Menschen mehr oder weniger freiwillig zu Statisten oder sogar Darsteller­n ihrer selbst in der Zukunft macht. Denn vielleicht ist der Tag nicht mehr fern, an dem sie ihre eigene Abschaffun­g erleben. Der Tag, an dem ein Typ wie der im Stück von Paul Herwig gespielte Investor (der natürlich für ein Düsseldorf­er Real-Estate-Unternehme­n arbeitet) die Nordstadt als spannenden Szene-Kiez entdeckt – und einen Aufwertung­s- und damitVerdr­ängungspro­zess in Gang setzt.

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