Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Kernkompetenz: Geschichten erzählen“
Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur über die Macht von Eigen-PR, die Bedeutung von Journalismus heute und seinen Hühnerhof.
„Medien erleben“, heißt das Motto von Campfire. Bürger und Journalisten sollen näher zusammenrücken. Warum muss das sein?
KAI DIEKMANN Keine Ahnung. Ich habe das Motto ja nicht erfunden. Und ich weiß auch nicht, ob und warum Bürger „näher zusammenrücken“sollen. Wenn es darum geht, dass das Vertrauen der Menschen in die traditionellen Medien gesunken ist, dann macht es sicherlich Sinn, transparenter zu machen, wie Medien arbeiten. Dass es zum Beispiel Unsinn ist, dass Medien in Deutschland von wem auch immer gelenkt werden; dass es Unsinn ist, wenn behauptet wird, es gebe Absprachen, bestimmte Themen nicht oder erst recht groß zu machen etc. Das ist eine Vorstellung von der Welt der Medien, die mit der Realität in Deutschland nichts zu tun hat.
Welche Rolle spielen traditionelle Medien noch in einer Welt, in der jeder senden und empfangen kann?
DIEKMANN Die Rolle als Gatekeeper, die darüber entscheiden, welche Inhalte zu einem Massenpublikum Zugang finden und welche nicht – diese Rolle haben die traditionellen Medien in der digitalenWelt tatsächlich verloren. Über die Infrastruktur der sozialen Medien kann heute jeder an den klassischen Medien vorbei mit dem Publikum kommunizieren – der amerikanische Präsident Donald Trump macht das auf Twitter ja eindrucksvoll vor. Wenn es aber darum geht, Inhalte zu gewichten, zu verifizieren, zu überprüfen, dann hat der Journalismus – grundsätzlich zumindest – nichts von seiner Bedeutung verloren. Das ist klassisches Handwerk, das haben Journalisten gelernt! Das ist in einer Welt, in der jeder alles und jedes massenhaft verbreiten und veröffentlichen kann, wichtiger denn je! Im Übrigen: Wenn ich Zahnschmerzen habe, wenn’s also wirklich drauf ankommt, gehe ich ja auch zu einem Arzt, der an einer Universität studiert hat – und suche mir nicht jemanden im Internet, dessen Hobby das Bohren ist.
In Ihrem Panel geht es um Journalisten als Marken. Wie viel Eigen-PR ist erlaubt?
DIEKMANN Wir Menschen interessieren uns für nichts so sehr wie für andere Menschen – das ist Teil unserer DNA.Wir vertrauen einem einzelnen Menschen mehr als einem anonymen Kollektiv, das hinter einer Marke steht. Das war im Journalismus schon immer so: von Egon Erwin Kisch bis zu Peter Scholl-Latour, von Johannes Gross bis Frank Schirrmacher. Der Mensch gibt der Marke ein Gesicht – und deshalb profitieren Medienmarken natürlich enorm, wenn es ihren Journalisten gelingt, ein eigenes Profil zu entwickeln, eben selbst zur Marke zu werden. Schauen Sie sich Paul Ronzheimer bei „Bild“oder Martin Kaul bei der „taz“an – beide blutjung und bereits Marken. Ich weiß als Leser, wofür die stehen, was die können – und dass ich eben „Bild“oder „taz“lesen muss, wenn ich ihnen begegnen will. In der Türkei binden die bekannten Kolumnisten so viele Leser an sich, dass bei einem Wechsel, zum Beispiel zu einer anderen Zeitung, hohe Ablösesummen gezahlt werden.
Sie lassen Ihre Follower an Ihrem Leben teilhaben bis zu Ihrem privaten Hühnerhof in Potsdam. Wen interessiert das?
DIEKMANN Auf noch mehr Interesse als meine Hühner treffen regelmäßig meine Ziegen! Meinem Leben als „Bild“-Chef haben sich so viele Jahre so viele Kollegen aus den Medien-Ressorts von Zeit, Spiegel, Stern, SZ so liebevoll gewidmet, dass ich gedacht habe, jetzt wird es mal Zeit für den Hühnerhof.
Was bedeutet es für Medienmarken, wenn junge Nutzer kaum noch wissen, „woher“die Information kommt?
DIEKMANN Viel wichtiger – und das ist in der Tat eine Generationenfrage – ist die Tatsache, dass junge Nutzer von vornherein kaum noch mit den traditionellen Medienmarken in Berührung kommen – schon gar nicht physisch am Kiosk, aber auch alles andere als selbstverständlich in der digitalen Welt: Wer als junger Mensch auf den sozialen Plattformen wie Instagram, Snapchat oder Facebook medial sozialisiert wird, der kommt gar nicht mehr auf den Gedanken, gezielt nach Informationen zu suchen, schon gar nicht nach Informationen, die bestimmten Quellen zugeordnet werden. Die Informationen müssen ihn finden, und nur die, die ihn finden, sind auch relevant.Was ihn nicht erreicht, ist auch nicht relevant. Die Quelle spielt bei einem solchen Rezeptionsverhalten nur noch eine untergeordnete Rolle.
Die „Bild“-Zeitung wird für ihren scharfen Kurs in der Migrationspolitik kritisiert. War die Diekmann-„Bild“liberaler?
DIEKMANN Ich zitiere dazu mal aus einem ganz aktuellen Beitrag von Stefan Niggemeier, einem meiner größten Fans zu meiner Zeit als „Bild”-Chef. Der schreibt letzte Woche über mich: „,Bild’“hat unter Diekmann gelogen, gehetzt, gespalten. ,Bild’ war unter Diekmann laut, brutal, hemmungslos.“Mehr Güte-Siegel geht kaum, oder?
Kritiker sagen, die „Bild“schüre Ängste vor Zuwanderung.
DIEKMANN Der Vorwurf ist alt, aber deshalb noch lange nicht wahr: „Bild“hat schon immer Defizite bei der Integration von Ausländern beklagt, beispielsweise den mangelnden Zwang zur gemeinsamen Sprache Deutsch auf dem Schulhof, aber auch den überproportionalen Anteil von ausländischen Jugendlichen in der Kriminalstatistik. Gleichzeitig haben wir – zum Beispiel mit der Aktion „Refugees welcome“– Solidarität eingefordert, wenn es darum ging, Fremden Schutz zu gewähren, die, um das eigene Leben fürchtend, aus ihrer Heimat fliehen mussten. Für diese klare Haltung wird „Bild“– im ersteren Fall – schon immer von links diffamiert, der Hass der Rechten gilt Letzterem. „Bild“sitzt in dieser Frage zwischen allen Stühlen – genau da gehört unabhängiger Journalismus hin.
Als „Bild“-Chef haben Sie Merkel, Putin und Trump getroffen und bundesweit Debatten bestimmt. Vermissen Sie den Journalismus?
DIEKMANN Journalismus erschöpft sich ja nicht darin, Politiker zu interviewen. Und Journalismus findet auch nicht mehr nur unter dem Dach von traditionellen Medienmarken statt. Was ist denn eine unserer wesentlichen Kernkompetenzen als Journalisten? Geschichten erzählen! Das tun wir bei Storymachine.
Sie sind jetzt selbstständiger Unternehmer. Jetzt müssen Sie Kunden akquirieren, die kommen nicht automatisch. Kann man das lernen?
DIEKMANN Kunden akquirieren? I wo – uns fliegen die Herzen und Aufträge nur so zu! Im Ernst: Weder Merkel noch Putin oder Trump sind mit ihren Interviews automatisch zu „Bild“gekommen. Das war immer ein ordentliches Stück Weg. An meinem Interview mit GeorgeW. Bush 2006 hatte ich vorher vier Jahre lang gearbeitet. Ich bin also, was die Akquise angeht, nicht so ganz unvorbereitet in mein neues Leben gegangen.
Was ist Storymachine?
DIEKMANN Das diskutieren mein Partner, der ehemalige Stern.de-Chef Philipp Jessen, und ich auch immer wieder – wenn wir eine befriedigende Antwort haben, melden wir uns ... Stimmt so nicht ganz, also, nochmal: Den traditionellen Medienmarken gelingt es immer weniger, das Publikum physisch am Kiosk zu treffen. Die Millennials wachsen eben nicht mehr mit Medien aus Papier auf oder schauen linear TV, sondern werden medial sozialisiert auf den digitalen Plattformen. Die wiederum machen es möglich, ein Massenpublikum an den klassischen Medienmarken vorbei direkt zu erreichen. Früher brauchte ich dafür einen Fernsehsender oder eine Druckerei. Wenn man Facebook Live zu nutzen weiß, ist das nichts anderes als ein Fernsehsender. Soziale Medien sind aber keine technischeVerlängerung der Pressestelle oder gar des Marketings – ein Fernsehsender, der 24 Stunden am Tag nur Werbung zeigt, würde nicht funktionieren. Aber das haben viele Unternehmen bei der Nutzung von Social Media noch nicht richtig verstanden: Social ist social – es geht um echtes Kommunizieren, um Engagement. Es geht um eine ganz besondere Form des Storytellings. Und wer kann das am besten? Journalisten! Das ist unsere Kernkompetenz: Geschichten erzählen. Das ist die Ur-Idee von Storymachine. Wir gestalten für Unternehmen und Organisationen Kommunikation auf diesen Plattformen.
Fr, 31.08., 15.15 Uhr, RP-Zelt, „Journalisten als Marke – wie viel Selbstvermarktung vertragen die Medien?“