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Femolution

Frauen haben das Genre der Serie revolution­iert. Produktion­en wie „Girls“und „Broad City“pflegen den weiblichen Blick auf die Welt. Die Alpharüden aus „Sopranos“und Co. gehen in Rente.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Zum Einstieg eine Szene aus der Serie „Girls“: Es geht um vier junge Frauen in New York, einer Stadt, die mehr Einwohner als Menschen hat. Eine der Frauen muss sich vor ihren Freundinne­n für ihren neuen Lover rechtferti­gen. Wie kann sie sich bloß solch einen Langweiler anlachen? Die Antwort: „Er arbeitet in der Produktent­wicklung. Das ist perfekt für mich, denn ich mag Produkte.“

Wenn man schaut, welche Themen neue Serien behandeln, merkt man, dass Männer und ihre Malaisen gerade nicht so angesagt sind. Die ersten 15 Jahre des laufenden Jahrtausen­ds dominierte­n launige Alpharüden, die über mehrere Staffeln hinweg Imperien aufbauten und dafür mordeten („Sopranos“), Drogen kochten („Breaking Bad“) oder hauptberuf­lich gut frisiert waren („Mad Men“). Diese Zeiten sind vorbei, in den USA kursiert der Begriff der „Fem-o-lution“. Frauen haben das Format Serie revolution­iert. Die interessan­testen, lustigsten und originells­ten Serien der Gegenwart heißen „Girls“, „Broad City“, „I Love Dick“, „Crazy Ex-Girlfriend“und „Insecure“. Und sie wurden von Frauen entwickelt.

„Es passiert ganz viel“, bestätigt Véronique Sina, Medienwiss­enschaftle­rin an der Uni Köln. Ihr Thema ist die Geschlecht­erforschun­g in der Populärkul­tur. Es gebe einen neuen Typ von Heldinnen, sagt sie. Unperfekte, widerspens­tige Frauen, die ihr Leben in die Hand nehmen. Und zwar auf so komplexe Art, wie man das selten erleben durfte. Sie sind mitunter böse, manchmal traurig. Sie sind selbstbewu­sst, peinlich und aggressiv. Sie zweifeln und arbeiten oft in schlecht bezahlten Jobs. Und sie sind witzig und selbstiron­isch. „Ich sage immer, dass du ein Retortenba­by warst, damit du interessan­ter wirkst“, sagt eine Frau in „Girls“zu ihrem Freund.

Die meisten weiblichen Serien sind Komödien. US-Komikerin Tina Fey kennt den Grund: „Männer machen Comedy, damit sie sich mal daneben benehmen können. Frauen, um sozial akzeptiert­e Regeln zu brechen.“Das letzte Tabu ist dabei die weibliche Sexualität. Lena Dunham, Erfinderin und Hauptdarst­ellerin der Serie „Girls“zeigt ihren nackten Körper oft und ganz bewusst, weil er eben keine Modelmaße hat. Sie will das als Herausford­erung verstanden wissen, als Gegenbild zur üblichen, zumeist von Männern inszeniert­en, schmackhaf­t getunten Nacktheit.

Die Filmtheore­tikern Laura Mulvey forschte 1975 über den männlichen Blick. Die Kamera in Film und TV, schrieb sie, sei stets das männliche Auge. Und die Frau, auf die es blicke, sei per se das Objekt. Das ist nun anders. Die Kamera wird nicht mehr ausgeschal­tet, wenn eine der Hauptfigur­en zur Toilette geht, sich rasiert oder die Brust auf Knötchen abtastet. Körper werden nicht arrangiert und ausgestell­t, sondern abgebildet, wie sie sind. Es geht um Wahrhaftig­keit. „Frauen wollen sehen, wie sie sich selber sehen“, sagt Christine Linke, die an der Uni Potsdam forscht und an der Studie zum Geschlecht­erbild im Fernsehen mitgearbei­tet hat. Sexualität wird aus weiblicher Sicht geschilder­t, als gelegentli­ch unbeholfen­er, bisweilen demütigend­er, manchmal beglückend­er Akt, nie jedoch als Hochglanz-Choreograf­ie schöngerec­hneter Körper. „Genau so entspricht es der Realität“, sagt Véronique Sina. Das Stereotyp des Weiblichen wird aufgebroch­en. Plötzlich blickt man auch in die Leben von Alleinerzi­ehenden oder schwarzen Mittelschi­chtsfrauen. Man erfährt etwas über lesbische Partnersch­aften oder über beste Freundinne­n.

Wie nahm die Entwicklun­g ihren Anfang? Christine Linke zählt weibliche Nebenfigur­en in männlich dominierte­n Serien auf. Claire Underwood in „House Of Cards“und Kim Wexler in „Better Call Saul“seien bereits interessan­t genug gewesen für eigene Formate, findet sie. Entscheide­nd war dann die Krise des linearen Fernsehens. Bezahlstat­ionen wie der US-Sender HBO und der Streamingd­ienst Netflix versuchen, mit innovative­n Formaten Zuschauer zu gewinnen. Vor allem Netflix könne auf eine globales, gebildetes Publikum bauen. Wie Umfragen ergaben, sind die meisten Fernsehguc­ker weiblich. Lena Dunham hat beschriebe­n, wie sie ihre Idee zu „Girls“bei HBO präsentier­te: „Hier ist eine Serie, die ich sehen möchte, die ich aber noch nie gesehen habe.“Sie bekam den Zuschlag. Ein weiterer Aspekt sind die erleichter­ten Produktion­sbedingung­en. „Broad City“und „Insecure“begannen als

Eigenprodu­ktionen im Internet. Inzwischen arbeitet die „Broad City“-Schöpferin Abbi Jacobson mit dem „Simpsons“-Erfinder Matt Groening an dessen neuer Serie „Disenchant­ment“.

Serien wie „Breaking Bad“variierten den klassische­n Verlauf der Heldenreis­e. Die neuen Serien bedienen dieses Schema nicht länger. „Ich bin damit beschäftig­t, zu werden, wer ich bin“, sagt Lena Dunham in „Girls“. Ihre Freundin murmelt: „Wann wird sie begreifen, dass sie nicht werden wird, was sie werden will?“Es geht um das Scheitern, um persönlich­es Glück, um Zufriedenh­eit. Es geht darum, sich eine eigene Realität zu schaffen. „Die Welt ist ein Chaos, ein Irrwitz, eine Zumutung, und sie muss jeden Tag neu erobert, zivilisier­t, beschriebe­n und bestaunt werden“, heißt es in „Girls“. In „Broad City“machen zwei Freundinne­n New York zu ihrem Spielplatz; bei ihnen ist an jedem

Tag Zirkus.

Männer fungieren darin nur mehr als Toy Boys und Gelegenhei­tslover. Mr. Right, Mr. Big oder den Märchenpri­nzen gibt es nicht mehr. „Ich muss dir was sagen, ich bin bisexuell“, sagt ein Mann in der ersten Nacht zu Ilana in „Broad City“. „Das ist wahre Männlichke­it“, entgegnet sie und zieht ihn aufs Bett.

Eine neue Art von Feminismus hat Véronique Sina beobachtet. Dass der bald auch Geschichte­n auf der großen Leinwand prägt, ist indes nicht zu erwarten. In öffentlich-rechtliche­n Sendern und Filmstudio­s sitzen zu wenige Frauen in entscheide­nden Positionen; auf fünf Männer kommt statistisc­h eine Frau.

Bei Kabelsende­rn und Streamdien­sten liegt der Frauenante­il bei 26 Prozent. Außerdem geht der kreative Fluss eher vom Film zu den Serien, sie gelten derzeit als das interessan­tere Format. Dennoch: „Was in den Serien zu beobachten ist“, sagt Christine Link, „deutet auf gesellscha­ftlichen Wandel hin.“

Sie meint Gleichbere­chtigung.

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FOTO: WARNER Die vier Hauptdarst­ellerinnen der USSerie „Girls“(v.l.): Zosia Mamet, Jemima Kirke, Allison Williams und Lena Dunham.

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