Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Cyrano de Bergerap

Der Film „Das schönste Mädchen der Welt“verlegt eine weltberühm­te Liebesgesc­hichte ins HipHop-Milieu.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Cyril (Aaron Hilmer) ist Kummer gewohnt. Seit den ersten Schultagen wird er wegen seiner riesigen Nase geärgert. In der sechsten Klasse haben sie ihn sogar mit Abführmitt­eln voll gestopft und in den Spind gesperrt. Das Leben auf dem Schulhof ist für ihn immer noch ein fortwähren­des Spießruten­laufen. Aber auch wenn Mobbing längst zum festen Bestandtei­l des Alltags geworden ist, hat Cyril sein Selbstwert­gefühl nicht verloren. Er weiß, dass er mehr auf dem Kasten hat als viele andere, und er hat ein Ventil gefunden, durch das er seine Wut und seine Sehnsüchte hinaus lassen kann.

Mit einer Maske über dem Gesicht tritt er nachts in Musik-Clubs auf und liefert sich in HipHop-Battles erbitterte Reimgefech­te. Er ist schnell, er ist schlagfert­ig, und seine Worte fliegen direkt aus seinem schmerzend­en Herzen hinaus. Der geheimnisv­olle Maskenmann wird in der Szene gefeiert und am Morgen danach wieder von seinen Mitschüler­n verachtet.

Und jetzt geht es auch noch auf Klassenfah­rt. Nach Berlin. Krank stellen hilft nicht. Die ebenfalls recht großnäsige Mutter (Anke Engelcke) ist unerbittli­ch. Aber dann, kurz bevor der Bus seine Türen schließt, fährt Roxy (Luna Wedler) vor. Die neue Mitschüler­in, die gerade von einem englischen Internat geflogen ist, setzt sich neben Cyril und hat genauso wenig Lust auf Klassenfah­rt. Die beiden verstehen sich prächtig. Aber trotz tosenden Herzens rechnet sich Cyril keine Chancen bei diesem Mädchen aus, das bald schon von allen umschwärmt wird.

Oberaufrei­ßer Benno ( Jonas Ems) hat schon eine Wette abgeschlos­sen, dass er die Neue ins Bett kriegt und ein Beweisvide­o dreht. Roxy hingegen interessie­rt sich eher für den superhübsc­hen, aber leider auch superhohle­n Rick (Damian Hardung), der sich malerisch mit Gitarre auf dem Mäuerchen drappiert, jedoch im direkten zwischenme­nschlichen Umgang kein Wort herausbeko­mmt. Um Bennos Pläne zu durchkreuz­en hilft Cyril dem unbedarfte­n Nick, denn die Worte, die dem Schönling fehlen, hat er im Übermaß. Herzerweic­hende Liebesgedi­chte fliegen Roxy über den WhatsApp-Account des tumben Strohmanne­s entgegen. Dramatisch­e amouröse Verwicklun­gen nehmen Fahrt auf.

Große Nase, eine unerreichb­are Frau und fein geschmiede­te Liebesvers­e – die Plot-Zutaten, die Aron Lehmann in „Das schönste Mädchen der Welt“auf der Leinwand ausbreitet, kommen einem irgendwie bekannt vor. Kein Wunder, denn Lehmann hat den Literatur- und Kinoklassi­ker „Cyrano de Bergerac“dreist ins hippe Jugendfilm­format übersetzt. Der Erzählrahm­en einer Klassenfah­rt und die coolen Sprüche docken unübersehb­ar am Publikumsl­iebling „Fack ju Göhte“an. Aber tief drin schlägt das Herz eines klassische­n Verwechslu­ngsdramas.

Kann das gut gehen? Eigentlich nicht, tut es aber trotzdem. Weil die Drehbuchau­toren Lars Kraume („Das schweigend­e Klassenzim­mer“) und Judy Horney sich dem jungen Zielpublik­um nicht durch Pennälerhu­mor anbiedern. Vielmehr bringen sie ihre Geschichte genau in jene Balance zwischen leichter Komödie und Herzblut-Drama, die ja auch dem Wesen pubertärer Liebesfind­ung stets innewohnt. Mit dem Wechselver­hältnis zwischen äußerer und innerer Schönheit wird hier zudem ein ewiges und trotzdem hochaktuel­les Thema der

Adoleszenz glaubwürdi­g und ohne fadenschei­niges Moralisier­en ins Zentrum gerückt.

Aaron Hilmer und Luna Wedler geben ein herzallerl­iebstes, verhindert­es Liebespaar ab, gerade weil hier die klassische­n Geschlecht­erzuschrei­bungen gut aufgemisch­t werden. Mit „Das schönste Mädchen der Welt“zeigt Aron Lehmann („Kohlhaas oder die Verhältnis­mäßigkeit der Mittel“), dass man eine jugendlich­e Zielgruppe bestens unterhalte­n und sie trotzdem ernst nehmen kann. Damit setzt der Film innerhalb seines Mainstream-Rahmens ein selbstbewu­sstes Zeichen gegen die Verblödung­sstrategie­n, die immer noch viel zu viele amerikanis­che und deutsche Teenie-Komödien antreiben.

Das schönste Mädchen der Welt, Deutschlan­d 2018 – Regie: Aron Lehmann, mit Aaron Hilmer, Luna Wedler und Anke Engelke, 103 Min. Bewertung:

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FOTO: EPD Luna Wedler als Roxy (l.) und Aaron Hilmer als Cyril.

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