Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Schwulsein in Syrien
„Mr. Gay Syria“ist eine humorvolle und anrührende Dokumentation.
(dpa) Er flüchtet nicht nur vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien, sondern auch wegen seiner Sexualität: Husein (24) stammt aus Aleppo und arbeitet nun als Friseur in Istanbul. Mit dem Leben hier fremdelt er – auch, weil er eigentlich schwul ist, dies aber gegenüber seiner konservativen muslimischen Familie nicht offen ausleben kann. Stattdessen führt Husein, der eine Frau und eine kleine Tochter hat, ein Doppelleben und träumt von einer Zukunft in Europa, wo er so sein kann, wie er ist.
Mahmoud (40) aus Damaskus ist da schon weiter: Er hat in Berlin Asyl erhalten. Dennoch kreuzen sich in Istanbul die Wege von Husein und Mahmoud. Sie initiieren den Wettbewerb „Mr. Gay Syria“. Wer dort gewinnt, soll in nächster Stufe zum internationalen Contest „Mr. Gay World 2016“nach Malta reisen und ein Zeichen für die Sichtbarkeit schwuler Araber aus dem Nahen Osten setzen.
Die türkische Filmemacherin Ayse Toprak hat Husein und Mahmoud sowie deren Freunde mehr als ein Jahr lang begleitet. Nach eigenen Angaben lernte sie Mahmoud kennen, als sie nach einem Dolmetscher für einen Dokumentarfilm über syrische Flüchtlingskinder suchte. Über Mahmoud traf sie wiederum auf Husein, der zur Hauptfigur von Topraks Dokumentarfilm „Mr. Gay Syria“wurde.
„Ich bewunderte ihre Willenskraft, die widrigen Umstände, mit denen sie konfrontiert sind, zu überwinden und ihre Lebensqualität zu verbessern“, sagt Toprak über Husein und seine Freunde. „Dass sie dies auf unbeschwerte Art und Weise und mit einem Lächeln taten, lehrte mich, was es bedeutet am Leben festzuhalten, unabhängig von den Umständen.“
Ayse Topraks Dokumentation ist ein anrührender Film geworden. Er macht die große Flüchtlingskrise anhand konkreter Einzelschicksale greifbar. Während die Protagonisten ein ums andere Mal auf Bewilligung von Visums- und Asylanträgen hoffen, zwingt die Doku den Zuschauern nicht zu sehr eine bestimmte politische Sichtweise auf. Ebenso wie die Flüchtlingskrise behandelt der Film zudem die allgemeinen Herausforderungen des Coming-outs, die manche Schwule und Lesben möglicherweise sogar in liberaleren Gesellschaften ganz ähnlich erleben.
Zum Teil auch wegen seiner berührenden Performance, bei der er ein Outing vor seiner Mutter imaginiert und nachspielt, wird Husein zum „Mr. Gay Syria“gekürt. Die Kamera fängt immer wieder die traurigen Augen des Mannes ein, der zwischen muslimischer und westlicher Welt driftet und mit der Homophobie seiner eigenen Familie konfrontiert ist. Der Film kommt bei aller Ernsthaftigkeit aber auch mit großer Leichtigkeit und viel Humor daher. Er will etwas mitteilen, das über die beiden präsentierten Fälle hinausgeht, etwas Verbindendes. So wird diese Produktion zum Plädoyer für Lebensfreude und -mut trotz aller Widrigkeiten.
„Widersprüchliche Gefühle“– so beschreibt Husein seine Gemütslage in einer Szene: „Freude und dann Enttäuschung.“
Mr. Gay Syria, Frankreich, Deutschland, Türkei 2017 – Regie: Ayse Toprak, 87 Min.