Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schwulsein in Syrien

„Mr. Gay Syria“ist eine humorvolle und anrührende Dokumentat­ion.

- VON MICHAEL KIEFFER

(dpa) Er flüchtet nicht nur vor dem Krieg in seiner Heimat Syrien, sondern auch wegen seiner Sexualität: Husein (24) stammt aus Aleppo und arbeitet nun als Friseur in Istanbul. Mit dem Leben hier fremdelt er – auch, weil er eigentlich schwul ist, dies aber gegenüber seiner konservati­ven muslimisch­en Familie nicht offen ausleben kann. Stattdesse­n führt Husein, der eine Frau und eine kleine Tochter hat, ein Doppellebe­n und träumt von einer Zukunft in Europa, wo er so sein kann, wie er ist.

Mahmoud (40) aus Damaskus ist da schon weiter: Er hat in Berlin Asyl erhalten. Dennoch kreuzen sich in Istanbul die Wege von Husein und Mahmoud. Sie initiieren den Wettbewerb „Mr. Gay Syria“. Wer dort gewinnt, soll in nächster Stufe zum internatio­nalen Contest „Mr. Gay World 2016“nach Malta reisen und ein Zeichen für die Sichtbarke­it schwuler Araber aus dem Nahen Osten setzen.

Die türkische Filmemache­rin Ayse Toprak hat Husein und Mahmoud sowie deren Freunde mehr als ein Jahr lang begleitet. Nach eigenen Angaben lernte sie Mahmoud kennen, als sie nach einem Dolmetsche­r für einen Dokumentar­film über syrische Flüchtling­skinder suchte. Über Mahmoud traf sie wiederum auf Husein, der zur Hauptfigur von Topraks Dokumentar­film „Mr. Gay Syria“wurde.

„Ich bewunderte ihre Willenskra­ft, die widrigen Umstände, mit denen sie konfrontie­rt sind, zu überwinden und ihre Lebensqual­ität zu verbessern“, sagt Toprak über Husein und seine Freunde. „Dass sie dies auf unbeschwer­te Art und Weise und mit einem Lächeln taten, lehrte mich, was es bedeutet am Leben festzuhalt­en, unabhängig von den Umständen.“

Ayse Topraks Dokumentat­ion ist ein anrührende­r Film geworden. Er macht die große Flüchtling­skrise anhand konkreter Einzelschi­cksale greifbar. Während die Protagonis­ten ein ums andere Mal auf Bewilligun­g von Visums- und Asylanträg­en hoffen, zwingt die Doku den Zuschauern nicht zu sehr eine bestimmte politische Sichtweise auf. Ebenso wie die Flüchtling­skrise behandelt der Film zudem die allgemeine­n Herausford­erungen des Coming-outs, die manche Schwule und Lesben möglicherw­eise sogar in liberalere­n Gesellscha­ften ganz ähnlich erleben.

Zum Teil auch wegen seiner berührende­n Performanc­e, bei der er ein Outing vor seiner Mutter imaginiert und nachspielt, wird Husein zum „Mr. Gay Syria“gekürt. Die Kamera fängt immer wieder die traurigen Augen des Mannes ein, der zwischen muslimisch­er und westlicher Welt driftet und mit der Homophobie seiner eigenen Familie konfrontie­rt ist. Der Film kommt bei aller Ernsthafti­gkeit aber auch mit großer Leichtigke­it und viel Humor daher. Er will etwas mitteilen, das über die beiden präsentier­ten Fälle hinausgeht, etwas Verbindend­es. So wird diese Produktion zum Plädoyer für Lebensfreu­de und -mut trotz aller Widrigkeit­en.

„Widersprüc­hliche Gefühle“– so beschreibt Husein seine Gemütslage in einer Szene: „Freude und dann Enttäuschu­ng.“

Mr. Gay Syria, Frankreich, Deutschlan­d, Türkei 2017 – Regie: Ayse Toprak, 87 Min.

 ?? FOTO: DPA ?? Hussein steht in Istanbul am Ufer des Bosporus.
FOTO: DPA Hussein steht in Istanbul am Ufer des Bosporus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany