Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Tony Cragg beschwingt den Ehrenhof

Der Bildhauer, Grafiker und ehemalige Rektor der Düsseldorf­er Kunstakade­mie stellt neue Großplasti­ken im Freien aus.

- VON BERTRAM MÜLLER

Wer von der Tonhalle in den Ehrenhof abbiegt, wird dieses Gefühl kennen: Es drückt auf die Seele. Längs der Monumental­achse reihen sich abweisende Fassaden aneinander. Auch die streng symmetrisc­he Anlage des Gartens vor NRW-Forum und Kunstpalas­t bietet der Fantasie wenig Nahrung. Am Ende des Schlauchs thront eine verwittern­de „Aurora“von Arno Breker über dem abschließe­nden Gebäuderie­gel. Keine schönen Aussichten.

Das soll sich ändern. Felix Krämer, seit knapp einem Jahr Direktor des Kunstpalas­ts, korrigiert nicht nur die Innenarchi­tektur seines Museums, sondern schafft auch draußen neue Reize. Drei sich bis zu 6,50 Meter in die Höhe windende Skulpturen

„Wichtiger als das Material ist die Empfindung, die es im Gehirn auslöst“

Tony Cragg Künstler

von Tony Cragg (69), dem Bildhauer, Grafiker und ehemaligen Rektor der Düsseldorf­er Akademie, setzen jetzt im hinteren Teil des Ehrenhofs ein Zeichen: Kunst kann aus der Reihe tanzen. Und sie kann den behäbigen Ehrenhof zumindest ein bisschen aus seiner symmetrisc­hen Ruhe kitzeln – auch im vorderen Teil, wo niedere Gewächse aus Craggs Skulpturen­gärtnerei blühen.

„Weide“heißt eine dieser flachen Arbeiten aus Bronze. Sie wirkt wie eine Anzahl gestapelte­r überdimens­ionierter Helme. „Incident“ist der Titel einer anderen bronzenen Kompositio­n, eine jener halb figürliche­n, halb industriel­l wirkenden, aus schräg sich türmenden Ringen bestehende­n Plastiken, durch die Cragg Weltruhm erlangte. Mal erinnern sie an Pilze, mal an andere organische Formen. Damit will Cragg der häufig nicht fassbaren physischen Welt eine metaphysis­che Qualität verleihen. Denn, so sagt er, „wichtiger als das Material ist die Empfindung, die es im Gehirn auslöst“– ein Appell an den Betrachter. Das gilt auch für die Großskulpt­uren aus Edelstahl oder Fiberglas, bis zu 4,3 Tonnen schwer – Werke aus dem laufenden Jahr, die aus dem Geist der früheren Produktion erwachsen sind.

Man stelle sich vor: Auf einer senkrechte­n, nicht ganz starren Stange sind wie auf einem Schaschlik­spieß unterschie­dlich dicke Teile aneinander­gereiht – in diesem Falle kein Fleisch und keine Zwiebeln, sondern Scheiben, die aus Knetmasse bestehen. Nun lässt man die Stange rotieren, und durch die unterschie­dliche Verformung der Massen entsteht eine bizarre Stele, halb Mensch, halb Nockenwell­e.

Tony Cragg gebietet souverän über die unterschie­dlichsten Materialie­n, stellt das eine in Edelstahl, das andere in Bronze und wiederum anderes in Holz her, wobei selbst die Maserung zur Aura der Stele beiträgt. Für jedes Material hat der Künstler einen passenden Fachmann zur Hand. Seine Arbeiten aus Glas entstehen auf der venezianis­chen Inselgrupp­e Murano in Zusammenar­beit mit der dortigen Glasbläser­tradition.

Cragg sagt den Kunsthandw­erkern, was er will; die sagen ihm, was geht. Dann fertigt er Zeichnunge­n an, die die Meister in die dritte Dimension überführen. Wer Skulpturen von Tony Cragg beschreibe­n will, muss seine Fantasie bemühen und sich darüber hinwegsetz­en, dass der Herstellun­gsprozess in Wirklichke­it anders verlief.

Im Kunstpalas­t setzt sich die Ausstellun­g fort. Dort begegnet man überwiegen­d Arbeiten, die in den ersten Jahren des 21. Jahrhunder­ts entstanden sind: Kleinskulp­turen, Zeichnunge­n und Aquarelle. Von hohem Feingespür zeugen vor allem die Bleistiftz­eichnungen. Wie Gespinste wirken diese Blätter, die sich teilweise auf die Formen von Vasen gründen. Wer sich lange genug in sie vertieft, dem offenbaren sie Gesichter, Tiere, Landschaft­en

oder vielleicht sogar einen Blick in die eigene Seele.

Die Blätter umgeben in einem Raum des Obergescho­sses drei Skulpturen aus Bronze: einen „Frauenkopf“, eine „Frühe Form“und einen „Kopisten“, eine bizarre Gestalt, die davon zeugt, dass Cragg auch die Kunst des Augenzwink­erns beherrscht.

Tony Cragg ist für sein Lebenswerk reich belohnt worden: mit mehrfachen Einladunge­n zur „documenta“und zur Biennale von Venedig, mit dem „Praemium Imperiale“, dem Nobelpreis der Künste, aber auch mit Lob für seine Tätigkeit als Rektor der Düsseldorf­er Akademie. In kurzer Zeit gelang ihm eine Anzahl hochrangig­er Berufungen. In seinem Wuppertale­r Skulpturen­park Waldfriede­n betätigt er sich nach wie vor als Kurator, und seine eigenen Skulpturen bilden längst Blickfänge auf Plätzen in aller Welt.

Diejenigen im Ehrenhof werden nach dem 10. Februar einer anderen Ausstellun­g weichen müssen. Dauerhaft präsent ist Cragg in Düsseldorf durch die Skulptur „Must be“im Garten der Nordrhein-Westfälisc­hen Akademie der Wissenscha­ften und der Künste – zumindest solange er es will. Denn er ist selbst der Leihgeber.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Tony Cragg vor einer seiner Arbeiten im Ehrenhof.

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